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AHO Aktuell - 17.01.2005

Dioxine: Chemisch - historisch - natürlich


Berlin (aho/lme) - Vor dem Hintergrund überhöhter Dioxingehalten
in Eiern
aus Freilandhaltung fordert die
Grünen-Politikerin Renate Künast laut einem Bericht der "Berliner
Zeitung" vom Montag: "Wir müssen mit konsequenter Umweltpolitik dafür
sorgen, dass Dioxin reduziert wird und aus unserer Umwelt
verschwindet."

Das diese Forderung wohl kaum mehr als politisches Wunschdenken ist,
offenbart ein Blick auf die wissenschaftlichen Fakten:

Der Begriff Dioxin bezeichnet eine große Chemikalienfamilie. Es sind
polychlorierte aromatische Verbindungen mit ähnlicher Struktur und
ähnlichen chemischen und physikalischen Eigenschaften. Sie werden
nicht vorsätzlich erzeugt, sondern bilden sich als Nebenprodukt
chemischer Reaktionen, die das gesamte Spektrum von natürlichen
Ereignissen wie Vulkanausbrüchen und Waldbränden bis hin zu
anthropogenen Prozessen, wie die Herstellung von Chemikalien,
Pestiziden, Stahl und Anstrichfarben, das Bleichen von Zellstoff und
Papier oder Abgasemissionen und Müllverbrennung, abdecken.
Beispielsweise sind Dioxine in den Emissionen enthalten, die bei der
unkontrollierten Verbrennung chlorierter Abfälle in einer
Müllverbrennungsanlage entstehen. Selbst beim Abbau der in vielen
Kosmetika und Haushaltsreinigern enthaltenen desinfizierenden Substanz
Triclosan kann unter Einwirkung von UV-Licht ein Dioxin entstehen (4).

Von den 210 verschiedenen Dioxinverbindungen sind nur 17 in
toxikologischer Hinsicht bedenklich. Am gründlichsten untersucht
wurde das giftigste Dioxin, nämlich
2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-Dioxin, abgekürzt 2,3,7,8-TCDD. Dioxin
wird in "parts per trillion" (ppt) gemessen.

Dioxine lösen sich nicht in Wasser, sind jedoch sehr stark
fettlöslich. Dies bedeutet, dass sie mit dem Sediment von Gewässern
und mit organischen Stoffen in der Umwelt Bindungen eingehen und in
das tierische und menschliche Fettgewebe resorbiert werden. Hinzu
kommt, dass sie nicht biologisch abbaubar sind, so dass sie
persistieren und in der Lebensmittelherstellungskette anreichern. Sind
Dioxine einmal in die Umwelt freigesetzt, über die Luft oder das
Wasser, so führt dies letztendlich zu ihrer Ansammlung im Fettgewebe
von Tier und Mensch.

Die Gefahr für Menschen und die Umwelt durch Dioxine ist seit 1976 der
breiten Öffentlichkeit bekannt, als eine Explosion in einer
Chemiefabrik im italienischen Seveso zwei Kilogramm Dioxin freisetzte
und das Gebiet auf Jahre unbewohnbar machte sowie schwere Hautschäden
bei Menschen verursachte.

Das "Ultragift TCDD" (Dioxin) bereitet den Wissenschaftlern
Kopfzerbrechen. Wie soll man eine Substanz bewerten, auf die sogar
verwandte Versuchstiere extrem unterschiedlich reagieren:
Meerschweinchen sind beispielsweise 2.500mal empfindlicher als
Hamster. Die Übertragung von Tierversuchen auf den Menschen ist daher
spekulativ.

Die Internationale Krebsforschungsagentur IARC konnte sich erst 1997
dazu entschließen, TCDD (Dioxin) als krebserregend für den Menschen
einzustufen. Anlaß für die Entscheidung war unter anderem die
Beobachtung, dass von über 5.000 Chemiearbeitern, deren TCDD - Gehalte
im Blut 300fach erhöht waren, 15% mehr als erwartet an Krebs gestorben
waren. Auch Jahre später lag die Krebssterblichkeit bei ihnen
durchschnittlich um 13% höher als bei der übrigen Bevölkerung. Wer
Spitzenbelastungen ausgesetzt war, dessen Risiko stieg sogar um 25%.
Die gleichzeitig erhobenen Daten für Herzinfarkt und Diabetes sind
unauffällig. Beim Diabetes kam es mit steigender Dioxinbelastung sogar
zu einer Abnahme.

Betrachtet man die Statistiken genauer, nimmt die Gesamtzahl aller
Tumoren zwar deutlich (signifikant) zu, die Zunahme kann jedoch nicht
auf eine bestimmte Krebsart zurückgeführt werden. Bisher musste in der
Wissenschaft einer bestimmten Substanz eine ganz bestimmte Krebsart
zugeordnet werden, um einen ursächlichen Zusammenhang herzustellen.
Die wenigen deutlichen (signifikanten) Zunahmen bestimmter Krebsarten
können das Gesamtergebnis nicht erklären. So trat in der belasteten
Gruppe 11mal häufiger Krebs des Bindegewebes auf. Das Resultat
verliert allerdings an Brisanz, wenn man weiß, dass die Statistik nur
auf drei Fällen beruht. Die Zunahme von Blasenkrebs hat nach Angaben
der Autoren nichts mit dem Dioxin zu tun, sondern ist auf die
Chemikalie "4-Aminobiphenyl" am Arbeitsplatz zurückzuführen. Diese
Substanz ist dafür bekannt, dass sie Blasenkrebs hervorruft. Da sich
insgesamt die Sterblichkeit (Gesamtmortalität) der Chemiearbeiter
nicht von der restlichen Bevölkerung unterscheidet, trägt das Dioxin
die Bezeichnung "Ultragift" zu unrecht.

An objektivierbaren Gesundheitsschäden bleibt in erster Linie die
entstellende Chlorakne (schwere Hautveränderungen). Auch eine Wirkung
auf das zentrale Nervensystem, die sich in schweren Depressionen
äussern, ist wahrscheinlich. Bei Chemieunfällen wie in Seveso sind
jedoch nicht nur Dioxine entstanden: Die Wirkung der den Dioxinen nahe
verwandten "chlorierten Naphthaline" ist bisher kaum untersucht, weil
sich die Fachwelt auf das TCDD (Dioxin) konzentrierte. (1)

Auch natürliche Quellen

Seit einigen Jahren weiß man aber auch, dass auch in natürlichen
Quellen gibt. So zum Beispiel in den Tongruben des Westerwaldes. Hier
wurden im Kaolinit (Bolus alba) Dioxine in beachtlichen Mengen aus
prähistorischer vulkanischer Aktivität gefunden. Und so dürften sich
Generationen Dioxine per Bolus alba in Form von Pillen, Kosmetika und
Babypudern auf und in den Körper gebracht haben. Ganz ohne
industrielle Chlorchemie und ohne den Umweg über die Tierernährung.

300 Jahre

Wissenschaftler fanden Dioxine (polychlorierte Dibenzo-p-Dioxine und
Dibenzofurane = PCDD/F) auch im Sedimentgestein von vier Schwarzwälder
Seen. Erstaunlich: Das giftige Sediment stammt aus dem 17. Jahrhundert
- Dioxin-Quellen wie Müllverbrennungsanlagen oder die Produktion von
Chorphenolen gab es damals noch gar nicht. Als Ursache vermuten die
Forscher atmosphärische Belastungen durch die damalige Produktion von
Holzkohle oder das Schmelzen von Erzen (2). Ebenso können Dioxine beim
Verbrennen von Torf entstehen.

Rein biologisch

Bisher galten Dioxine als die giftigsten vom Menschen hergestellten
organischen Substanzen. Doch die Natur war wieder einmal schneller: So
bewiesen holländische Chemiker, dass in Waldböden bis zu 20
verschiedene Dioxine und Furane aus Chlorphenolen gebildet werden.
Auch die Chlorphenole sind häufig natürlichen Ursprungs (3).



(1) Steenland K et al.
Cancer, heart disease, and diabetes in workers exposed to
2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-p-dioxin.
Journal of the National Cancer Institute 1999, 91 pp.779-786

(2) Ingrid Jüttner, Bernhard Henkelmann, Karl-Werner Schramm,
Christian E. W. Steinberg, Raimund Winkler, and Antonius Kettrup
Occurrence of PCDD/F in Dated Lake Sediments of the Black Forest,
Southwestern Germany
Environmental Science & Technology, 1997, 31,S. 806 - 811

(3) Eddo J. Hoekstra, Henk de Weerd, Ed W. B. de Leer, and Udo A. Th.
Brinkman Natural Formation of Chlorinated Phenols, Dibenzo-p-dioxins,
and Dibenzofurans in Soil of a Douglas Fir Forest Environmental
Science & Technology 1999, 33,S. 2543 - 2549

(4) Milagros Mezcua, M. José Gómez, Imma Ferrer, Ana Aguera,
M. Dolores Hernando and Amadeo R. Fernández-Alba,
Evidence of 2,7/2,8-dibenzodichloro-p-dioxin as a
photodegradation product of triclosan in water and
wastewater samples
Analytica Chimica Acta, Vol 524, Issues 1-2 ,
25 October 2004, p 241-247



 



 

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