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AHO Aktuell - 10.11.2003

Humanmedizin: Die Wunderwaffe Antibiotika wird stumpf


Leipzig (aho) - Antibiotika. Jahrzehntelang hatte sie den Ruf einer medizinischen
Wunderwaffe. Wenn gar nichts mehr half, wurde sie für den Sieg über die
gefährlichen Bakterien gezückt. Doch seit einigen Jahren kamen die Substanzen ins
Gerede. Denn die Bakterien lernen durch die Häufigkeit der Begegnung mit ihrem
"Feind", immer schneller und immer sicherer den Angriffen der Antibiotika zu
widerstehen - sie werden zunehmend resistent. Dieser Entwicklung und deren
Auswirkungen auf den Klinikalltag widmete sich kürzlich ein Symposium, zu dem die
Universität Leipzig eingeladen hatte. Koordinator der Veranstaltung war Prof. Dr.
Arne C. Rodloff, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und
Infektionsepidemiologie der Medizinischen Fakultät.

"Dieses Thema ist deshalb so brisant", erläutert Rodloff, "weil
Infektionskrankheiten auch in den Industrieländern wieder zunehmen und
die Mittel dagegen an Wirksamkeit verlieren. Beispielsweise kommen
jährlich 250.000 Menschen in der Bundesrepublik wegen einer
Lungenentzündung ins Krankenhaus, jeder Zehnte stirbt daran. Weitaus
mehr Fälle werden ambulant behandelt. Das Antibiotikum, das bisher gegen
die Pneumokokken, also die Erreger der Lungenentzündung, eingesetzt
wurde, hat jedoch eine steigende Versagerrate; die liegt jetzt bei 20
Prozent. Das bedeutet: Die Pneumokokken werden resistent!" Und dabei
kann Deutschland - und hier insbesondere der Osten - noch froh sein,
relativ unangepasste Bakterien zu beherbergen. In den USA, Spanien und
Frankreich beispielsweise ist deren Resistenzrate gegenüber den gängigen
Antibiotika drei- bis viermal so hoch.

Also gibt es - da die Waffen der Mediziner stumpf werden - Grund zur
Panik? Sind wir Tuberkulose, Lungenentzündung, Harnwegsinfektionen und
Wundinfektionen nach chirurgischen Eingriffen bald wieder so hilflos
ausgeliefert wie unsere Urgroßeltern? "Nein, denn wir wissen inzwischen
viel mehr über die krankmachenden Eigenschaften von Bakterien, Viren und
Pilzen aber auch über die Wirkungsweise von Impfstoffen und
Antibiotika", so Rodloff. "Nur muss die inzwischen endlich bröckelnde
Antibiotika-Gläubigkeit gänzlich abgelegt werden. Es ist sinnlos, bei
jedem grippalen Infekt beim Hausarzt Antibiotika einzufordern. Die
helfen nämlich ohnehin nur bei einer bakteriellen und nicht bei einer
Viruserkrankung." Eine Faustregel für die Selbstbeobachtung des
Patienten: Weißlicher Husten-Auswurf deutet auf eine Virus-Infektion
hin, grünlich-gelblicher auf Bakterien. Ist allerdings klar, dass
Bakterien die Erreger sind, dann bringt es auch nichts, den Helden zu
spielen und verschriebene Antibiotika nicht oder nur teilweise
einzunehmen." Das nämlich wäre für die Erreger nicht das Ende, sondern
nur ein gutes "Training".

Allerdings benennt Rodloff auch ein gesundheitspolitisches Problem: "Die
Erregerdiagnostik wird im Alltag der niedergelassenen Kollegen aus
Kosten- und Logistikgründen oftmals vernachlässigt. Damit stehen
epidemiologische Daten, die eine wesentliche Grundlage bei der Auswahl
eines Antibiotikums sind, nur in sehr begrenztem Umfang zur Verfügung.
Die Resistenzentwicklung kann so nicht zuverlässig beurteilt werden und
die Unsicherheiten bei der Therapie werden größer."

Die Mediziner sieht Rodloff aber noch unter anderen Aspekten
herausgefordert: "Je mehr verschiedene Antibiotika wir geben, desto
schwerer fällt den Bakterien ihre Anpassung. Ich würde z.B. diese
Vielfalt auch nutzen und zwei Patienten mit Lungenentzündung, die in
einem Krankenhauszimmer liegen, nicht ohne Not mit dem gleichen
Medikament therapieren. So könnten Erreger, die bei der einen Person
eventuell resistent geworden sind und übertragen werden, am Antibiotikum
der anderen schon wieder scheitern." Mit Blick in Richtung
Pharmaindustrie macht Rodloff allerdings auch keinen Hehl aus seiner
Unzufriedenheit: "Es werden zu wenig neue Antibiotika entwickelt, die
den sich schnell wandelnden Erregern immer wieder ein Schnippchen
schlagen können. Vermutlich lohnt sich für die Unternehmen dieser
Wettlauf mit der Natur nicht mehr."

Doch selbst der immer sparsamere, gezieltere Umgang mit immer
verschiedenartigeren Antibiotika geht das Problem nur von einer Seite
an. "Der beste Weg, Infektionen die Stirn zu bieten, ist nach wie vor
und mehr denn je die Impfung", mahnt Rodloff. "Es ist ebenfalls die
Antibiotika-Gläubigkeit, die Millionen Menschen davon abhält, alle
Möglichkeiten der Prophylaxe auszunutzen. Wenn nun mal klar ist, dass
die aktuellen Medikamente den Pneumokokken immer hilfloser
gegenüberstehen, dann spricht doch alles dafür, sich gegen dieses
Erreger impfen zu lassen. Allen Menschen über 60 empfehle ich das
dringend."

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