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AHO Aktuell - 12.11.2007

Auch gefühlte Risiken erfordern staatliches Handeln


Berlin (BfR) - Auch wenn aus wissenschaftlicher Sicht ein
gesundheitliches Risiko bei Lebensmitteln oder Produkten klein ist,
kann der Staat zum Handeln gezwungen sein, weil das Risiko in der
Öffentlichkeit als groß empfunden wird. Darüber waren sich die rund
200 Teilnehmer an einer Veranstaltung einig, zu der das Bundesinstitut
für Risikobewertung (BfR) aus Anlass seines 5-jährigen Bestehens nach
Berlin geladen hatte. "Rechtfertigen gefühlte Risiken staatliches
Handeln?" war die Frage, die es zu beantworten galt. Die Antwort der
Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und
Nichtregierungsorganisationen war eindeutig: Die Politik muss bei
ihren Entscheidungen neben den rein wissenschaftlichen Erkenntnissen
über das Ausmaß eines gesundheitlichen Risikos auch andere
Schutzbereiche und Rechtsgüter wie wirtschaftliche Interessen,
Vertrauensverlust in die Institutionen und, wenn auch aus
wissenschaftlicher Sicht unbegründete, so doch reale Ängste der
Bevölkerung berücksichtigen. "Nahezu jedes gefühlte gesundheitliche
Risiko kann sehr schnell zu einem tatsächlichen Risiko werden", gab
BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel in seiner
Begrüßungsrede zu bedenken. "Neben der wissenschaftlichen Bewertung
von Risiken und daraus abgeleiteten Maßnahmen muss deshalb die offene
und verständliche Risikokommunikation die dritte Säule beim Umgang mit
Risiken sein." Ganz bewusst habe daher der Gesetzgeber neben der
unabhängigen wissenschaftlichen Bewertung von Risiken auch die
unabhängige Kommunikation der Ergebnisse in den Aufgabenkatalog des
Bundesinstituts für Risikobewertung geschrieben.

Aus wissenschaftlicher Sicht beschreibt ein Risiko die
Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens, die maßgeblich von
Schadenspotenzial und Exposition abhängig ist. Gefühlte Risiken
entstehen hingegen, weil Menschen die auf Mathematik und Statistik
beruhenden Ergebnisse einer wissenschaftlichen Risikoabschätzung nicht
oder falsch verstehen, weil es offensichtlich nicht gelungen ist, sie
klar, verständlich und trotzdem differenziert zu kommunizieren.
Zugleich leben Menschen in der Illusion, dass bei entsprechendem
technologischem und administrativem Aufwand Risiken und damit
Unsicherheiten beseitigt werden können. Beides begründet Ängste vor
Risiken, die aus wissenschaftlicher Sicht sehr klein oder zu
vernachlässigen sind. Das durch den Angstfaktor potenzierte gefühlte
Risiko kann im Extremfall selbst zu einem Verhalten führen, das die
Gesundheit gefährdet.

So ist beispielsweise das gefühlte Risiko bei Rückständen von
Pestiziden in Lebensmitteln bei deutschen Verbrauchern groß. Selbst
wenn gesetzliche Rückstandshöchstmengen eingehalten werden, befürchten
viele Menschen gesundheitliche Schäden, wenn sie solche Lebensmittel
verzehren. Aus wissenschaftlicher Sicht ist hingegen selbst bei
sporadischen Überschreitungen der Höchstmengen kein gesundheitliches
Risiko erkennbar. Wird dagegen auf bestimmte Pflanzenschutzmittel wie
zum Beispiel auf Fungizide beim Anbau von Getreide verzichtet, können
durch Pilzbefall Schimmelpilzgifte ins Korn gelangen. Von diesen
Pilzgiften ist bekannt, dass sie Krebs auslösen. Aus
wissenschaftlicher Sicht sind daher Getreideprodukte aus
pestizidfreiem Anbau wegen der möglichen Belastung mit diesen Giften
keineswegs automatisch frei von gesundheitlichen Risiken. Viele
Verbraucher empfinden sie aber dennoch als sicher.

Gefühlte, also nicht wissenschaftlich begründete Risiken gehören zum
gesellschaftlichen Leben und prägen das Verhalten der Menschen im
Alltag. Für die Politik sind sie real und dürfen nicht ignoriert
werden. Um Krisen zu vermeiden, ist deshalb auch bei einem gefühlten
Risiko staatliches Handeln nötig. Eine offene und verständliche
Risikokommunikation, welche die Position der Wissenschaft auf der
einen und die Positionen der verschiedenen Stakeholder auf der anderen
Seite in die Diskussion eines Risikos einbezieht, ist hierbei von
zentraler Bedeutung. Wichtig ist, dass neben den wissenschaftlichen
Erkenntnissen, die einer Risikoabschätzung zugrunde liegen, auch die
Kenntnislücken und Unsicherheiten in der Interpretation
wissenschaftlicher Daten offengelegt werden. Dies war in der
Vergangenheit, zum Beispiel beim Umgang mit BSE, nicht immer der Fall
und hat zum Vertrauensverlust in die Institutionen des
gesundheitlichen Verbraucherschutzes geführt. Das BfR möchte die
Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. "Durch unsere Abteilung
Risikokommunikation, in der wir sozialwissenschaftliches Know How mit
naturwissenschaftlichem Wissen verknüpfen, wollen wir einen offenen
und Vertrauen stiftenden Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und den
verschiedenen gesellschaftlichen Interessengruppen gestalten",
erläuterte BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel auf der BfR-
Jubiläumsveranstaltung. "Kommunikationsinstrumente wie die BfR-
Verbraucherkonferenzen und Stakeholderforen zu Themen wie möglichen
Risiken der Nanotechnologie und natürlicher Pflanzeninhaltsstoffe in
Lebensmitteln helfen dabei, gefühlte Risiken auf ihren rationalen, das
heißt wissenschaftlich begründbaren Kern zurückzuführen."

Über diese Stakeholderveranstaltung hinaus feierte das BfR sein
5-jähriges Bestehen am 8. November 2007 mit einem Wissenschaftstag und
am 9. November 2007 gemeinsam mit rund 200 Schülern aus Berliner
Gymnasien. Sie diskutierten mit Experten des Bundesinstituts, des
Berliner Senats und der amtlichen Lebensmittelüberwachung darüber, was
gesundheitlicher Verbraucherschutz eigentlich ist und wie die
Wissenschaft Verbraucher schützen kann.



 



 

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