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AHO Aktuell - 07.12.2005

Lahn-Dill-Kreis: Landrat will Verbot des betäubungslosen Schächtens


Wetzlar/Dillenburg (aho) - Landrat Dr. Karl Ihmels hat Revision
eingelegt gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in
Kassel, die das betäubungslose Schächten für zulässig erklärt. Das
Urteil ist zwar auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
gestützt. Deswegen hat der Verwaltungsgerichtshof auch die Revision
ausgeschlossen. Der Landrat sieht trotzdem eine Chance, diese
Entscheidung zu korrigieren. Er beruft sich darauf, dass
zwischenzeitlich das Staatsziel "Tierschutz" in das Grundgesetz
aufgenommen worden ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat deswegen auch
entgegen der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs die Revision
zugelassen. Es sieht hier offensichtlich Klärungsbedarf.

Die Kontroverse geht auf das Jahr 1995 zurück. Ein in Werdorf
ansässiger türkischer Metzger hatte die im Tierschutzgesetz
ausdrücklich vorgesehene Ausnahmegenehmigung für betäubungsloses
Schächten beantragt, d. h. Schafe und Rinder ohne vorherige Betäubung
zu schlachten. Der Landrat hatte diese Genehmigung nicht erteilt.

In der Folgezeit hat es eine Vielzahl von Anträgen, Ablehnungen usw.
gegeben. Es folgten viele unterschiedliche Gerichtsentscheidungen bis
zur höchsten Ebene. Am Ende gab das Bundesverfassungsgericht im Rahmen
einer Verfassungsbeschwerde dem türkischen Metzger Recht. Damit schien
die Entscheidung gefallen. Nach der Änderung des Grundgesetzes zu
Gunsten des Staatsziels "Tierschutz" indes bedarf es auch nach Meinung
des Bundesverwaltungsgerichts einer neuen Abwägung.

Betroffen sind zunächst die Grundrechte auf Berufsausübung und
Religionsausübung. Aus ihnen ergibt sich die im Tierschutzrecht
vorgesehene Ausnahmeerlaubnis des Schächtens. Voraussetzung ist die
gemeinsame Glaubensüberzeugung der Mitglieder einer Gemeinschaft.
Diese Überzeugung darf nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts
behördlich nur begrenzt überprüft werden.

Dies war nach Meinung des Landrats nur zutreffend bis das Staatsziel
"Tierschutz" in Verfassungsrang erhoben worden ist. Damit werde die
Freiheit der Religionsgemeinschaft eingeschränkt, ihre Regeln und
Rituale (z. B. die Notwendigkeit des betäubungslosen Schlachtens)
selbst zu definieren. Insoweit bedürfe es einer neuen Beurteilung
durch das Bundesverwaltungsgericht und ggf. auch das
Bundesverfassungsgericht.

Der Landrat ist hinsichtlich des Verfahrensausgangs sehr optimistisch.
Die Öffentlichkeit sei inzwischen sehr viel kritischer in der
Beurteilung der politischen Symbolwirkung religiös motivierter
Rituale. Dies umso mehr, als der klagende türkische Metzger sich im
Zusammenhang mit seiner Antragsbegründung auf eine Organisation
beziehe, die im hessischen Verfassungsschutzbericht aufgeführt wird
und daher besonderer Beobachtung bedarf. Dies kann ein Gericht nach
Meinung von Landrat Dr. Ihmels nicht ignorieren.

Er lege großen Wert auf vernünftigen Umgang mit den türkischstämmigen
Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Dies belegt denn auch die guten
Beziehungen zum Landkreis Ürgüp. Genauso großen Wert lege er indes
darauf, dass das gute Einvernehmen nicht mit Zugeständnissen erkauft
werde, die mit den Prinzipien deutschen Staats- und
Rechtsverständnisses kollidieren.

Das betäubungslose Schächten soll sicherstellen, dass keine toten
Tiere geschlachtet werden. Mittlerweile sind die - insbesondere
elektrischen - Betäubungsmethoden so weit entwickelt, dass die
sachliche Begründung für die Betäubungslosigkeit entfallen ist.
Zugleich sind die Anforderungen an den ethischen Tierschutz in der
Bundesrepublik so erhöht worden, dass mit 2/3 Mehrheit vom Bundestag
und Bundesrat das Staatsziel "Tierschutz" verfassungsrechtlichen Rang
bekommen hat. Derartige Entwicklungen, die das Grundverständnis
unserer Gesellschaftsordnung berühren, müssen von allen Bürgerinnen
und Bürgern gleichermaßen anerkannt werden.

Allerdings ergibt sich damit - so der Landrat - eine ganz neue und
keineswegs abschließend geprüfte Problematik: Nimmt unsere
Gesellschaft das Staatsziel "Tierschutz" wirklich so ernst, wie es die
Verfassung verlangt, wenn wir an den Prinzipien der industriellen
Fleischproduktion festhalten?


 



 

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