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AHO Aktuell - 22.06.2005

Expertin: Fleisch kein Darmkrebsrisiko! +++ Berichte unseriös


(ugo) - Letzte Woche überschlugen sich mal wieder die Meldungen:
"Bestätigt: Rotes Fleisch erhöht das Darmkrebsrisiko" titelte der
Nachrichtendienst wissenschaft.de im Internet, "Fleischkonsum
steigert Darmkrebsrisiko" sekundierten die Kollegen von presetext.de,
und das Deutsche Institut für Ernährungsforschung (DifE) ließ aus
Potsdam verlauten, "Fleisch steigert ... das Darmkrebsrisiko". Das
Bedauerliche an all diesen Meldungen ist nicht nur, dass sie schlicht
falsch sind. Die Wortwahl der Autoren der Originalstudie legt zudem
den Verdacht nahe, dass man die falschen Schlagzeilen bewusst
provoziert hat.

Ausgangspunkt der Meldungen ist eine Veröffentlichung aus der
EPIC-Studie im Journal of the National Cancer Institute. EPIC ist die
größte bislang durchgeführte vorausschauende Beobachtungsstudie in
Europa (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition)
mit rund einer halben Million Teilnehmer. Die betreffende Publikation
befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen Darmkrebs (Dick- und
Enddarm) und dem Verzehr von Fleisch, Wurst, Fisch und Geflügel.

Während mit steigendem Fischkonsum das Darmkrebsrisiko sank, fand man
keinerlei Zusammenhang zum Geflügelverzehr. Der Verzehr von "rotem"
Fleisch, worunter Rind, Schwein, Kalb- und Lammfleisch verstanden
werden, ging mit einem Trend zu höheren Darmkrebsrisiken einher, die
jedoch zu keinem Zeitpunkt signifikant waren. Damit kann es sich um
ein Zufallsergebnis handeln, und es gilt eben nicht als
wissenschaftlich erwiesen, dass "rotes" Fleisch das Risiko für
Darmtumoren erhöht. Auch ging weder der Verzehr von Schweine-, Rind-,
Kalb- noch Lammfleisch mit einem signifikant erhöhten Risiko einher.

Anders bei verarbeitetem Fleisch, also Schinken, Wurst und Pasteten:
Hier war beim höchsten Verzehr (ab 80 Gramm täglich) das
Darmkrebsrisiko signifikant erhöht.

Doch mit diesen Ergebnissen war man offenbar nicht zufrieden, denn
nun wurden Fleisch, Schinken und Würste in einen Topf geworfen. Damit
hatte man aber immer noch kein signifikantes Risiko für "rotes"
Fleisch herausrechnen können. Also folgte der nächste Trick: Man
errechnete nun noch das Risiko für einen hypothetischen Mehr-Verzehr
von 100 Gramm "rotem" Fleisch täglich - und fand immer noch kein
signifkant erhöhtes Risiko. Dass selbst die "wissenschaftlichen"
Presseagenturen daraus die Meldung strickten, 100 Gramm Fleisch oder
Wurst würden Darmkrebs fördern, spricht nicht eben für die Qualität
der Berichterstattung.

Erst als man den Fleisch- und Wurstverzehr zusammenlegte und das
Risiko für einen hypothetischen Mehr-Verzehr von 100 Gramm täglich
errechnete, wurden die Ergebnisse signifikant. Da drängt sich
irgendwie der Begriff Datenmassage auf.

Was in keiner Meldung Platz fand war die Beobachtung der EPIC-Studie,
dass selbst der höchste Konsum von "rotem" Fleisch und Wurst (über 160
Gramm) das Darmkrebsrisiko nicht erhöhte, sofern auch viel Fisch (über
50 Gramm) oder Ballaststoffe (17-28 Gramm) verzehrt wurden. An der
Wurst alleine kann es schon deshalb nicht liegen.

Zudem wird der Gemüse- und Salatkonsum der Teilnehmer mit keinem Wort
erwähnt. Dabei wäre es sehr interessant zu erfahren, ob sagen wie ein
Spanier, der viel Fleisch aber auch viel Gemüse (und Fisch) isst, ein
geringeres Darmkrebsrisiko hat als etwa ein Brite, der zu seinem
Fleisch eher Pommes verzehrt.

Der einzige Lichtblick in dieser ganzen Darmkrebs-Fleisch-Kakophonie
fand sich bei wissenschaft.de, wo man darauf hinwies, dass das
absolute Risiko für 50-Jährige, in den nächsten 10 Jahren an Darmkrebs
zu erkranken, gering ist. Es lag selbst in der Gruppe mit dem höchsten
"Rotfleischundwurstkonsum" bei 1,7 Prozent. Bei geringem Fischkonsum
liegt es übrigens bei 1,9 Prozent, und es sinkt auf 1,3 Prozent beim
höchsten Fischverzehr - unabhängig vom den vertilgten Fleisch- und
Wurstmengen.

Die bekannte Ökotrophologin und Wissenschaftsjournalistin Ulrike
Gonder meint dat dazu:

Mir persönlich ist es egal, ob jemand Fleisch und Wurst isst oder
nicht, das muss jeder selber wissen. Ich finde es aber unerhört, wenn
man Menschen Angst vor beliebten Grundnahrungsmitteln macht, noch dazu
unbegründet. Mithilfe der missverständlichen Formulierungen in der
Studie konnten Schlagzeilen in der Presse generiert werden, die die
Ergebnisse der EPIC-Studie klar missbrauchen. Die EPIC-Studie birgt
aufgrund ihrer Größe ein enormes Potenzial zur Aufklärung der
Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krebs. Daher sollten die
Wissenschaftler ihre Daten sauber und ohne Rücksichtnahme auf
persönliche Voreingenommenheiten aufarbeiten und die daraus
abzuleitenden Botschaften klar formulieren. Ansonsten verkommt EPIC zu
einer Steuerverschwendungsmaßnahme, die keinem Verbaucher nützt und
die die ohnehin weit verbreitete Angst vor dem Essen weiter schürt.

Besuchen Sie die Webseite von Ulrike Gonder.




 



 

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