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AHO Aktuell - 27.01.2005

Experte: Warnungen vor gentechnisch verändertem Futter sind überzogen


Berlin / Karlsruhe (aho/lme) - Zum Auftakt der "Grünen Woche" in
Berlin präsentierte Greenpeace eine Neuauflage des Einkaufsratgebers
"Essen ohne Gentechnik" mit einem Schwerpunkt auf Molkereiprodukte.
Der Verein wendet sich gegen die Versorgung von Milchkühen mit
gentechnisch veränderten Futtermitteln. Prof. Dr. Klaus Dieter Jany,
Leiter des Molekularbiologischen Zentrums der Bundesforschungsanstalt
für Ernährung und Lebensmittel (BFEL) in Karlsruhe, über die
Hintergründe der umstrittenen Thematik im Gespräch mit Thomas
Deichmann:

Was ist dran an den Warnungen vor gentechnisch verändertem Futter?

Jany: Ich halte sie aus wissenschaftlicher Sicht für überzogen. Solche
Soja- oder Maisfutterstoffe werden im außereuropäischen Ausland schon
seit 1996 kommerziell angebaut. Weltweit ist seither noch kein
einziger Schadensfalls an Mensch oder Tier tatsächlich nachgewiesen
worden. Kein Wunder, denn gentechnisch veränderte Lebens- und
Futtermittel werden vor ihrer Zulassung sehr streng getestet und
staatlich überprüft. Der gentechnische Eingriff ist in aller Regel
sehr begrenzt und das Ergebnis kontrollierbar. Ein Gentransfer in
Pflanzen bewirkt meistens, dass nur ein einziges zusätzliches Protein
produziert wird - z.B. ein Bt-Toxin, das sich zielgenau gegen
bestimmte Fraßschädlinge wie die Maiszünslerlarven richtet. Für Mensch
und Tier sind diese Wirkstoffe, die auch im Ökolandbau gespritzt
werden, ungefährlich.

Dem Einkaufsratgeber ist zu entnehmen, dass sie meisten Großmolkereien
nicht auf gentechnikfreie Futtermittel umsteigen. Sind sie gut
beraten?

Jany: Diese Entscheidung sei jedem freigestellt, es ist aber auch die
Frage, ob sie überhaupt können. Es gibt zumindest keine
wissenschaftlich fundierte Begründung für einen Umstieg. Viele
Landwirte wissen das, nutzen seit Jahren GV-Futtermittel und stehen im
harten Wettbewerb. Da überlegt man, ob man teureres gentechnikfreies
Futter einkauft. Die Mehrkosten für zusätzliche Logistik und
Nachweispflichten bei solchen Waren belaufen sich auf 5 bis 25 Euro je
Tonne. Die Frage ist letztlich, ob Verbraucher dazu bereit wären,
diese Mehrkosten zu tragen. Ich habe meine Zweifel. Einer aktuellen
Emnid-Umfrage im Auftrag des Raiffeisenverbandes zufolge stufen die
meisten Verbraucher richtigerweise Frische, Preis und Qualität als
wichtigste Faktoren bei der Kaufentscheidung ein.

Im Einkaufsratgeber ist von "Gen-Milch" die Rede. Laut dieser Umfrage
verstehen viele Verbraucher darunter eine gentechnische Veränderung
der Milch. Was ist davon zu halten?

Jany: Der Begriff suggeriert ja eine Veränderung der Milch. Aber dafür
gibt es keine Hinweise. Es ist wissenschaftlich gesichert und
unstrittig, dass die Verfütterung von GV-Futter nicht dazu führt, dass
sich die Milch dieser Kühe von der Milch anderer Kühe unterscheidet.

Kritiker erwidern, das liege nur an unzureichenden
Nachweismöglichkeiten und es sei eine Frage der Zeit, bis
DNA-Schnipsel von GV-Futter in der Milch gefunden werden.

Jany: Gewiss werden unsere Nachweismöglichkeiten immer besser. Aber
das heißt nicht, dass die jetzt genutzten keine fundierten Aussagen
über die Zusammensetzung und die Sicherheit von Milch erlauben.
Außerdem ist die Grundannahme unzulässig, dass DNA-Bruchstücke aus
GV-Futtermitteln grundsätzlich gefährlich seien. DNA ist ein ganz
normaler Bestandteil unserer täglichen Nahrung. Mit jedem Schinkenbrot
nehmen wir unzählige "fremde" Gene zu uns. Und gentechnisch veränderte
DNA verhält sich im Verdauungsprozess der Milchkuh genauso wie nicht
gentechnisch veränderte Pflanzen-DNA.

Warum sind Importe von GV-Futtermitteln zu solch einem großen Thema
geworden?

Jany: Seit letzten Frühjahr gelten die neuen EU-Verordnungen zur
Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln.
Seither müssen auch Sojaimporte transgenen Ursprungs ein Label tragen.
Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber festgelegt hat, dass tierische
Lebensmittel, also Milch, Eier oder Fleisch, die von Tieren stammen,
die mit GV-Futter versorgt wurden, nicht kennzeichnungspflichtig sind.
Das missfällt nicht nur Gentechnik-Kritikern; aber nach der
Gesetzeslage ist es stimmig. Nur solche Waren fallen unter die
Kennzeichnungspflicht, die "aus gentechnisch veränderten Organismen"
gewonnen wurden, nicht aber solche, die "mit Hilfe eines GVO"
hergestellt worden sind. Wären auch letztere einbezogen worden, hätte
sich die angestrebte Wahlfreiheit erübrigt, weil dann sehr viele
Lebensmittel als GVO-Ware gekennzeichnet werden müssten. Weit mehr als
die Hälfte unserer Nahrungsmittel kommt mit der Gentechnik in
Berührung. Ein Beispiel aus der Molkereibranche sind gentechnisch
veränderte Mikroben, die das Labferment für die Milchgerinnung bei der
Käseherstellung liefern. Früher stammte dieses Enzym aus Kälbermägen.

Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany ist Leiter des Molekularbiologischen
Zentrums der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel
(BFEL) in Karlsruhe und Vorsitzender des "Wissenschaftlerkreises
Grüne Gentechnik e.V."
. Auf Grundlage des vorliegenden Interviews
erschien am 23.1.05 in der Welt am Sonntag der Artikel
"Wissenschaftler kritisiert Greenpeace-Ratgeber". Die Interviewfragen
stellte Thomas Deichmann, Chefredakteur des Novo-Magazins.


 



 

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