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AHO Aktuell - 09.08.2004

Freie Universität Berlin: Neuer Krankheitskeim in frischem Fleisch gefunden


Berlin (lme/aho) - Erbrechen, Durchfall, Magenkrämpfe und Fieber sind
die typischen Anzeichen einer Salmonellen-Erkrankung. Die
Salmonellen-Enteritis ist die am häufigsten bekannte
Lebensmittelvergiftung, die durch infizierte Nahrungsmittel ausgelöst
wird. Die Ursachen dafür sind meist mangelnde Hygiene bei der
Zubereitung oder Verarbeitung, sowie eine unsachgemäße Lagerung leicht
verderblicher Nahrungsmittel, wie zum Beispiel Eier, rohes Fleisch
oder Mayonnaise. Wenn auch die Bevölkerung meistens von "Salmonellen"
spricht, ergibt die Statistik, dass es inzwischen Bakterien gibt, die
weitaus verbreiteter sind und dieselben Symptome hervorrufen.
Campylobacter etwa hat als Erreger von bakteriell bedingten
Durchfallerkrankungen beim Menschen die Salmonellen überrundet. Ihm
ähnlich ist der Keim Arcobacter. Über dessen Bedeutung ist bislang
wenig bekannt gewesen. Fachleute für Lebensmittelhygiene der Freien
Universität Berlin haben sich jetzt auf die Spur der "neuen" Bakterien
begeben und Alarmierendes herausgefunden: Bei 37 Prozent der
getesteten frischen Hähnchenkeulen und bei vier Prozent des
Rindehackfleischs auf dem Berliner Markt wurden Arcobacter-Keime
nachgewiesen.


Eine wesentliche Aufgabe des Verbraucherschutzes ist es, die Bedeutung
von "emerging pathogens" möglichst frühzeitig abzuschätzen. Das sind
Keime, die Krankheiten erzeugen und bis vor kurzem unbekannt waren oder
als ungefährlich eingestuft wurden. Zu dieser Gruppe zählt auch das
Bakterium Arcobacter, das ursprünglich zur Gruppe der Campylobacter spp.
gezählt wurde. Nach intensiven Untersuchungen wurden sie ab 1991 einem
eigenen Genus zugeordnet. Einige Untergruppen des Bakteriums können beim
Menschen Magen-Darm-Krankheiten auslösen.

Über die Entstehung, die Entwicklung und die Übertragungswege der
Krankheiten ist bislang sehr wenig bekannt. Wissenschaftler haben
allerdings herausgefunden, dass die Varianten (Serogruppen), die bei
Erkrankten am häufigsten nachgewiesen worden sind, auch in
Geflügelfleisch und sogar im Trinkwasser vorkommen. "Aufgrund dieser
Erkenntnis muss viel öfter überprüft werden, ob sich die Keime in
unseren Lebensmitteln verbergen", sagt die Tierärztin Angela Rohder von
der Freien Universität Berlin. "Vor allem müssen wir ein zuverlässiges
und einheitliches Nachweisverfahren entwickeln, damit die Ergebnisse
miteinander vergleichbar sind."

Dieses Ziel setzte sich eine Arbeitsgruppe des Instituts für
Lebensmittelhygiene des Fachbereichs Veterinärmedizin der Freien
Universität Berlin. "Wir haben die Nachweismöglichkeit von
Arcobacter-Bakterien bei frischen Hähnchenkeulen und Rinderhack aus dem
Berliner Einzelhandel überprüft und Daten über ihre Häufigkeit erhoben",
erklärt Prof. Dr. Goetz Hildebrandt, der das Team leitet.

Nachdem die Veterinärmediziner ein kulturelles Verfahren einschließlich
einer genanalytischen Bestätigung etabliert hatten, kauften sie
Fleischproben auf dem Berliner Markt auf und untersuchten es: Von den
103 Hähnchenkeulen erwiesen sich 38 Stück (entspricht 37 Prozent) als
Arcobacter-positiv. Von 75 Rinderhackproben erbrachten drei Proben (vier
Prozent) positive Resultate. Darunter befanden sich auch 25 Proben von
Hähnchen aus ökologischer Haltung, bei denen fünf Mal Arcobacter
isoliert werden konnte.

Auch in Frankreich, Belgien und den USA haben Veterinäre Fleischanalysen
vorgenommen, deren Ergebnisse denen der Berliner Proben ähneln. "Wir
gehen davon aus, dass in ganz Deutschland bei Frischgeflügel mit einer
hohen Arcobacter-Kontaminationsrate zu rechnen ist", resümiert Goetz
Hildebrandt. "Rindfleisch hingegen scheint - in Übereinstimmung mit den
wenigen Untersuchungen, die bisher im Ausland durchgeführt worden sind -
auch in Deutschland nur selten mit den Bakterien verunreinigt zu sein."
Dem Verbraucher empfiehlt Angela Rohder "einen vorsichtigen Umgang mit
rohem Geflügelfleisch, wie es sowieso wegen des Risikos einer
Salmonellen-Übertragung selbstverständlich sein sollte". Goetz
Hildebrandt fügt hinzu: "Und die Wissenschaft muss Arcobacter-Keimen
dringend mehr Aufmerksamkeit schenken als bisher."

Die ersten Arcobacter-Bakterien wurden aus Rinder- und
Schweinefehlgeburten isoliert. Seit Anfang der neunziger Jahre werden
sie auch mit Durchfallerkrankungen und Bauchkrämpfen beim Menschen in
Verbindung gebracht. "Inzwischen wissen wir, dass eine Übertragung der
Keime sowohl durch Trinkwasser als auch durch Lebensmittel zu Stande
kommen kann", sagt Angela Rohder. Sie befürchtet, dass der
Arcobacter-Erreger ähnlich unterschätzt wird wie damals der
Campylobacter. "Denn es gibt bereits Berichte aus der ganzen Welt, in
denen im Zusammenhang mit Erkrankungen beim Menschen Arcobacter-Keime
gesichert nachgewiesen werden konnten."

Der erste Ausbruch ereignete sich 1983 in einer Grundschule in Italien.
Die Kinder litten unter starken Krämpfen im Bauchraum, nicht unter
Durchfall. Aus allen Kotproben wurden Arcobacter-Bakterien - damals noch
"Campylobacter Like Organism" genannt - isoliert. Ein konventioneller
Keim, der Darmerkrankungen auslöst, konnte jedoch nicht nachgewiesen
werden. Auch in Thailand waren Kinder betroffen, sie allerdings alle mit
Durchfall. Von den 631 an Durchfall erkrankten Kindern konnten bei 93
die Bakterien nachgewiesen werden. In Deutschland sind 1994 bei zwei
Patienten Krämpfe und Durchfall in Kombination aufgetreten. Bei einem
anderen chronisch Erkrankten und bei einem Neugeborenen wurde Arcobacter
sogar im Blut nachgewiesen.


 



 

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