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AHO Aktuell - 03.08.2004

Schwerer Dämpfer: Künast erhält blauen Brief der EU Kommission


Die EU-Kommission bewertet die Novelle zum deutschen Gentechnikgesetz
als nicht rechtskonform. Von Thomas Deichmann

Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast legte Anfang dieses
Jahres ihren Entwurf zur Novelle des deutschen Gentechnikgesetzes
(GenTG) vor - die seit Oktober 2002 überfällige Umsetzung der
EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18 in deutsches Recht. In einer
internen Mitteilung der EU-Kommission vom 26.7.04 hat sie nun scharfe
Kritik an diesem Entwurf der Bundesregierung geübt und weitere
Überprüfungen angekündigt. Nach der anhaltenden Kritik von Seiten der
Opposition, von Wissenschaftlerverbänden und Agrarunternehmen wird
dies als schwerwiegende Infragestellung der Kompetenz von
Verbraucherschutzministerin Künast bewertet.

Die EU-Kommission hat die Richtigkeit der Umsetzung der EU-Richtlinie
überprüft. Das Ergebnis ist eine lange Liste mit Kritik- und
Klärungspunkten
zum Entwurf der GenTG-Novelle, der der Kommission
am 23.4.04 übermittelt worden war. Zusammenfassend moniert die
Kommission, dass verschiedene obligatorische Bestimmungen der
EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18 ungenügend umgesetzt und
insbesondere auch Bestimmungen in Bezug auf die Kennzeichnung von
gentechnisch veränderten Organismen (GVO) nicht beachtet worden seien.
Festgehalten wurden abschließend auch sehr grundlegende Zweifel der
EU-Kommission an der Bereitschaft Deutschlands, die EU-weit
harmonisierten Verfahren zur Inverkehrbringung von GVO überhaupt
berücksichtigen zu wollen. In etlichen Punkten wird dargelegt, dass
Künasts Gesetzentwurf Zuständigkeiten und Bestimmungen der EU
untergräbt. So heißt es zu den im novellierten GenTG formulierten
Zusatzverpflichtungen der Betreiber, die GVO in Verkehr bringen
möchten ("vorherige Sicherheitsbewertung, Prüfung der Risikobewertung
und Sicherheitsmaßnahmen usw."), diese Verpflichtungen "verletzen die
Bestimmungen" einer anderen EU-Verordnung, die sich bereits um solche
Belange kümmert. Andere, ebenso aufwändige und kostensintensive Hürden
für deutsche Anwender der Biowissenschaften werden ebenfalls
kritisiert, weil sie einseitig ausgelegt, überzogen oder bereits
andernorts geregelt seien. Künasts Plan, in Deutschland mehr oder
weniger willkürlich "ökologisch sensible Gebiete" auszuweisen, in
denen per se keine Gentechnik angewendet werden darf, ist auch
bemängelt worden, weil solche Einschränkungen "gemäß den einschlägigen
Gemeinschaftsgesetzen geregelt werden müssen".

Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss, bezeichnete
erst Ende Juli das Künastsche Gesetz als
"Gentechnikverhinderungsgesetz", als dessen Folge er die Abwanderung
von Arbeitsplätzen ins Ausland erwarte. Er kritisierte ausdrücklich
die Haftungsregelung für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen,
denn ohne Gentechnik arbeitende Bauern sollen zukünftig Anspruch auf
Entschädigung haben, wenn sie Umsatzeinbußen wegen ihrer Nachbarschaft
zu Biotech-Bauern vorweisen können. Jedweder Pollen von transgenen
Pflanzen, der auf dem Feld eines Ökobauern landet und dort zu
Einkreuzungen führt, soll dabei einen wirtschaftlichen Schaden
begründen können - selbst wenn die Einkreuzungsrate weit unter dem
Schwellenwert von 0,9 Prozent liegt, ab dem erst eine Kennzeichnung
von Lebensmitteln gesetzlich verlangt ist. Unabhängig vom Verschulden
sollen außerdem alle im Umkreis angesiedelten Gentechnik-Nutzer
haften, wenn der Ursprung des Fremdeintrags nicht geklärt werden kann.
In Künasts Gesetzentwurf wird dem entsprechend auch die Regelung der
nachbarschaftlichen Koexistenz verschiedener Anbausysteme einseitig
den Gentechnik-Bauern zur Last gelegt.

Die EU-Kommission hat auch zu diesen Punkten dezidiert Stellung
genommen. Sie erinnert die Bundesregierung diesbezüglich an eine
Formulierung der EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18, wonach
Mitgliedstaaten "das Inverkehrbringen von GVO als Produkte oder in
Produkten, die den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen, nicht
verbieten, einschränken oder behindern" dürfen. Im Entwurf der
Bundesregierung hingegen würde "die gesamte Last der Gewährleistung
der Koexistenz dem GVO-Anbauer auferlegt, was zu einer ungebührlichen
Beschränkung des Anbaus von GVO führen könnte." Der Bundesregierung
wird daher angeraten, die von der EU-Kommission am 23.6.03 vorlegten
"Leitlinien für die Koexistenz" zu befolgen. Darin wird allen
Landwirten eine gleichberechtigte Verantwortung für die Gewährleistung
der Koexistenz zugesprochen.

Mit Blick auf die von Künast vorgesehen Haftungsregeln erachtet es die
EU-Kommission indes als "nicht akzeptabel", dass Landwirte für Schäden
haftbar gemacht werden sollen, obwohl sie die rechtlichen Vorschriften
und "die gute fachliche Praxis" beachtet haben. "Die vorgeschlagene
Haftungsregelung dürfte generell zu einem hohen und nicht
vorhersehbaren wirtschaftlichen Risiko für GVO-Landwirte führen",
folgert die Kommission, die eine Zustimmung zur deutschen
GenTG-Novelle nur unter der Bedingung in Aussicht stellt, dass die
Haftungsbestimmungen nicht zu einer Verhinderung des Anbaus von GVO in
Deutschland führe. Diese Befürchtung ist hierzulande wiederholt
geäußert worden.

Mit dieser Rüge der EU-Kommission könnte die kontroverse Diskussion um
die GenTG-Novelle nach der Sommerpause möglicherweise durch eine
Invervention des Kanzleramtes eine Wende nehmen. In der Quintessenz
ist nämlich festgestellt worden, dass das deutsche GenTG in der
geprüften Entwurfsversion nicht EU-rechtskonform ist, weil
Vorschriften aus Richtlinien, Verordnungen und allgemeine Grundsätze
des EG-Vertrages verletzt werden. Die EU hätte somit die Handhabe,
rechtliche Schritte gegen Deutschland einzuleiten.

Ende letzten Jahres musste Künast schon einmal bei der Ausarbeitung
ihres Entwurfs auf Drängen des Kanzlers Zugeständnisse machen: Ihr
Ansinnen, die Förderung der Gentechnik, also bedeutende Grundlagen-
und Anwendungsforschung im Auftrag des Forschungsministeriums
abzuschaffen und Verbraucherschützer nur noch mit der Abwendung von
theoretisch möglichen Risiken der Biowissenschaften zu betrauen, ging
Schröder ebenso zu weit wie ihr Ziel, gentechnikfreie Zonen in
Deutschland auszuweisen. Doch ansonsten ließ der Kanzler seine
Ministerin bislang gewähren. Diese erwies sich in den letzten Wochen
und Monaten als äußert kreativ bei der Umsetzung ihrer Ziele.

Nachdem sich das Kabinett am 11.2.04 nach langem Streit zwischen den
Ministerien auf den Entwurf für das neue GenTG geeinigt hatte,
begannen die Beratungen im Bundstag und Bundesrat. Wie erwartet lehnte
die Mehrheit der Bundesländer am 2.4.04 den Künast-Entwurf ab. Schon
damals wurde die Einschätzung geäußert, dass ihre Novelle nicht
EU-gesetzkonform sei. Doch statt nachzubessern, begann sie mit der
Umformulierung des Gesetzes, so dass eine Zustimmung des Bundesrates
zu wichtigen Teilen nicht mehr notwenig war. Betroffen davon sind auch
die Haftungsregeln. Die Regierungsfraktionen stimmten schließlich im
Bundestag am 18.6.04 dem geänderten GenTG zu.

Unternehmen und Forscher sprachen daraufhin von einem folgenschweren
"Innovationsstopp" und dem "praktischen Ausstieg aus der
Agrar-Biotechnologie". Die KWS Saat AG, größtes deutsches
Züchtungsunternehmen, erklärte, unter diesen rechtlichen
Rahmenbedingungen vorerst keine Freilandversuche in Deutschland mehr
durchführen zu können. Der Deutsche Bauernverband bedauerte, dass "die
Sicherung der Koexistenz, also das Nebeneinander mit und ohne
gentechnisch veränderte Pflanzen, nicht erreicht worden sei" und für
Landwirte, die transgene Pflanzen anzubauen planen, ein
unkalkulierbares wirtschaftliches Risiko entstanden sei. Der Präsident
des VCI und Chef der BASF AG, Jürgen Hambrecht, sagte vor wenigen
Tagen, er könne sich nunmehr sogar vorstellen, die Agroforschung
seines Unternehmens in die USA zu verlegen.

Auf seiner Sitzung am 9.7.04 folgte die Mehrheit des Bundesrates der
Empfehlung seines Agrarausschusses, der sich mit großer Mehrheit gegen
den vom Bundestag verabschiedeten Gesetzestext ausgesprochen hatte und
überwies den beschlossenen Gentechnik-Gesetzentwurf an den
Vermittlungsausschuss. Scheitert dieses, kann sich der Bundestag bei
absoluter Mehrheit über den Bundesrat hinwegsetzen. Allerdings braucht
es nur drei Abweichler aus den Reihen von SPD oder Grüne, um die
Kanzlermehrheit zu gefährden. Die EU-Rüge hat nun aber die Pläne
Künasts, das Gesetz zügig durch die Instanzen zu bringen, ohnehin
durchkreuzt.

Der EU-Kommission verlangt Nachbesserungen und wird auch den
Bundestagsbeschluss zur Novelle des GenTG prüfen. Da die Inhalte im
Wesentlichen unverändert sind, wird die jetzt überreichte
Stellungnahme zum Entwurf vom vergangenen April als richtungsweisend
dafür gesehen, wie das neue Urteil der Kommission ausfallen wird. Über
die Nutzung der Grünen Gentechnik in Deutschland ist also
möglicherweise doch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Der
Bayerische Umweltminister Werner Schnappauf sieht jedenfalls mit der
Stellungnahme der EU-Kommission die im Bundesrat von der Opposition
vertretene Haltung bestätigt. Er forderte am 30.7.04 die
Bundesregierung Ende auf, in dem vom Bundesrat angerufenen
Vermittlungsausschuss die monierten Regelungen nachzubessern. Für die
FDP-Fraktion im Bundestag kritisierte am 3.8.04 Christel
Happach-Kasan, Mitglied im Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft, aufs Schärfste, "dass die Bundesregierung wissend
um die Notwendigkeit der Notifizierung des Gesetzes durch die
EU-Kommission einen nicht EU-konformen Entwurf vorgelegt hat." Dieser
sei sogar "von den Koalitionsfraktionen in der Haftungsregelung weiter
verschlechtert worden", obwohl für den Innovationsstandort Deutschland
"die Verwirklichung echter Koexistenz von gentechnisch veränderten mit
herkömmlich gezüchteten Pflanzen und die weitere Genom-Forschung mit
dem Ziel, das Wissen zu mehren und bessere Sorten zu züchten, von
entscheidender Bedeutung" sei: "Der Bundeskanzler aufgefordert, dem
Wort von der Innovationsinitiative Taten folgen zu lassen." (td,
3.8.04)

© Thomas Deichmann

Das Originaldokument der EU-Kommission finden Sie im
Internet.


Thomas Deichmann ist freier Journalist und Chefredakteur von
Novo.




 



 

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