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AHO Aktuell - 09.01.2004

Eine BSE-Kuh mit Geburtsjahr 2001 wäre >extrem unangenehm<


(lid) - Die Zahl der BSE-Fälle geht in der Schweiz zurück, wenn auch nicht so
rasch wie erwartet. Trotzdem ist das Schlimmste vorbei. Ein herber Rückschlag wäre
aber eine BSE-Kuh mit Geburtsjahr 2001.


Von Roland Wyss-Aerni

21 BSE-Fälle wurden im letzten Jahr in der Schweiz registriert. Das sind nur drei
weniger als im Vorjahr. Beim Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) hat man eine
geringere Zahl erwartet. Immerhin hatte sich die Zahl der BSE-Fälle von 2001 auf
2002 noch fast halbiert, von 42 auf 24. Wieso der Rückgang aufs letzte Jahr so
stark abgebremst wurde, darüber tappt das BVET noch im Dunkeln. Eines ist klar: Es
geht um die Futtermittel. „Wir werden genau abklären, mit was für Futtermitteln
die BSE-Kühe gefüttert wurden, ob aus dem In- oder Ausland“, erklärt Dagmar Heim
von der Projektgruppe BSE beim BVET. Neben der Annahme, dass die Infektion über
die Futtermittel erfolgt, gebe es keine andere wissenschaftlich erhärtete Theorie,
abgesehen von der Übertragung von Muttertier auf Kalb.

Die Branche ist vorsichtig geworden

Die Fleischbranche ist nach dem Schock der zweiten BSE-Krise im Jahr 2000 (siehe
am Ende „BSE-Chronologie“) sehr vorsichtig geworden im Umgang mit BSE. Angesichts
der sensibilisierten Konsumenten können sich Bauern, Viehhändler und Schlachthöfe
keine Risiken mehr leisten. „Die Leute passen besser auf, bevor ein Tier
geschlachtet wird“, sagt Dagmar Heim. Verdachtsfälle würden häufiger gemeldet. Das
hat dazu geführt, dass die Zahl der positiven Fälle, die im Rahmen der
freiwilligen Untersuchungen gefunden wurden, stark gesunken ist: 2000 waren es
noch 13, im letzten Jahr nur noch zwei. Vielleicht führte aber auch gerade die
Tatsache, dass überhaupt freiwillig getestet wurde, dazu, dass die Branche
sorgfältiger wurde.
Freiwillig untersucht wird vor allem von Coop und Migros, aber auch von kleineren
Schlacht- oder Metzgereibetrieben. Es ist eine teure Übung, die die Grossverteiler
fürs Image in Kauf nehmen: Migros liess im letzten Jahr 153.000 Tiere testen und
bezahlte dafür insgesamt 8,5 Millionen Franken. Coop testete gegen 50.000 Tiere.
Im Rahmen des Untersuchungsprogramms wurden knapp 11.000 umgestandene und getötete
Tiere getestet, 8.800 krankgeschlachtete und 7’000 normalgeschlachtete Tiere.
Klinische Verdachtsfälle waren es 54. Damit wurde mehr als die Hälfte von
insgesamt rund 370.000 geschlachteten Tieren getestet.

Geburtsjahr 2001 sollte nicht vorkommen

Die meisten Kühe, die im vergangenen Jahr positiv getestet wurden, sind in den
Jahren 1996 bis 1999 zur Welt gekommen. Ein Fall stammte aus dem Jahr 2000, also
noch bevor Anfang 2001 die Fütterung von tierischen Mehlen auch für
Nicht-Wiederkäuer verboten wurde. Weil nun also seit Anfang 2001 mutmasslich alle
Infektionsquellen für BSE-Fälle ausgeschaltet sind, dürfte es keinesfalls zu einem
BSE-Fall bei einer Kuh mit Geburtsdatum 2001 kommen. „Extrem unangenehm“ wäre es
laut Dagmar Heim, wenn ein solcher Fall auftauchen würde. Wie gravierend das
tatsächlich wäre, würde dann allerdings erst eine genaue Eruierung des Lecks
zeigen. Heim gibt zu bedenken, dass das Verbot vielleicht nicht überall vom ersten
Tag an umgesetzt worden sei. Eine „Gnadenfrist“ von einem halben Jahr würde einen
Fall aus dem Jahr 2001 erklären.
England ist bereits in dieser Situation und Diskussionen über andere
Infektionswege sind in Gang: In England wurde schon 1996 ein totales
Tiermehlverbot eingeführt, inzwischen sind aber 70 Fälle aufgetaucht, bei denen
die Kühe nach 1996 geboren wurden. Dagmar Heim relativiert aber: In England habe
es vor dem totalen Tiermehlverbot 180.000 BSE-Fälle gegeben, so gesehen seien 60
Fälle eine geringe Zahl. In der Schweiz mit bisher 452 BSE-Fällen ergäbe die
gleiche prozentuale Verringerung bis zum Jahr 2007 rein rechnerisch 0,14 BSE-Fall
mit Jahrgang 2001. Auch in der Schweiz sei eben die Frage, ob die getroffenen
Massnahmen hundertprozentig sicher seien, sagt Heim. Und schliesslich gebe es auch
noch die Theorie der Spontanfälle, wonach BSE bei einem Tier pro Million ohne
erkennbare Ursache auftrete. Das sei alles sehr unsicher und spekulativ.

Der letzte BSE-Fall kommt irgendwann nach 2006

Weil alles so unsicher und spekulativ ist, versuchen die Wissenschafter mit
rechnerischen Modellen herauszufinden, wie die Entwicklung von BSE verläuft und
wie die Zukunft aussieht. Das BVET rechnet damit, dass im Verlauf der ganzen
BSE-Geschichte insgesamt rund 900 diagnostizierbare BSE-Fälle auftauchen.
Angesichts der 452 bisher registrierten Fälle werden nur etwas mehr als die Hälfte
davon aufgedeckt. Denn laut dem Modell ist noch mit knapp 50 BSE-Fällen zu
rechnen, die in den nächsten Jahren auftauchen werden. Der allerletzte Fall könnte
in der Schweiz bereits 2006 auftreten, wenn man davon ausgeht, dass die Symptome
nach fünf Jahren sichtbar werden und ferner voraussetzt, dass das totale
Tiermehlverbot von 2001 lückenlos befolgt wird. Weil einige Tiere aber auch erst
mit zehn oder mehr Jahren BSE-Symptome zeigen, könnte es auch viel später werden.



Schweizer BSE-Chronologie

1990: Im Berner Jura wird der erste BSE-Fall auf dem eu-ropäischen
Kontinent entdeckt. Risikomaterialien wie Gehirn, Augen, Rückenmark und Milz
werden in der Lebensmittelkette verboten. Verboten wird auch die Fütterung von
Fleisch- und Fleischknochenmehl an Wiederkäuer.
1993: Die ersten Kühe, die sich nach dem Fütterungsverbot von Tiermehl mit
BSE infiziert haben, werden entdeckt („born-after-ban“-Fälle). Tierische Abfälle
müssen neu sterilisiert werden.
1995: Die Zahl der BSE-Fälle steigt auf den Rekordwert von 68 an.
1996 – Erste BSE-Krise: Erstmals wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen
BSE und der neuen Form von Creutzfeldt-Jakob. Risikomaterialien werden aus der
Futtermittelkette entfernt: Gehirn, Augen und Rückenmark müssen verbrannt werden.
Ferner wird die Herdenkeulung eingeführt: alle Tiere einer Herde werden getötet.
1999: Beginn der aktiven BSE-Überwachung: Neben den klinischen
Verdachtsfällen werden alle krankgeschlachteten und umgestandenen Kühe sowie eine
Stichprobe bei Normalschlachtungen auf BSE hin untersucht. Ferner wird die
Kohortenkeulung eingeführt: Alle Tiere, die ein Jahr vor oder nach dem BSE-Tier
geboren wurden, werden getötet.
2000 – Zweite BSE-Krise: Die ersten BSE-Fälle mit Jahrgang 1996 und 1997
tauchen auf. Nulltoleranz für tierische Eiweisse in Wiederkäuerfutter wird
eingeführt.
2001: Mehle tierischer Herkunft dürfen auch an Nicht-Wiederkäuer nicht
mehr verfüttert werden.

 



 

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