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AHO Aktuell - 12.11.2003

Wissenschaftler: Kranke Tiere haben einen Anspruch auf Behandlung


Berlin (aho) - Die Entwicklung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen bei
Mikroorganismen und der Einfluss des Einsatzes antibiotisch wirksamer Substanzen
in der Tierhaltung standen im Mittelpunkt eines internationalen Symposiums, zu dem
das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) am 10. und 11. November 2003 nach
Berlin geladen hatte. Es war bereits die vierte Veranstaltung an diesem Ort zu
einem Thema, das weltweit als ernstes Problem betrachtet wird: Bereits 1995, 1997
und 2002 hatte sich das damalige Bundesinstitut für gesundheitlichen
Verbraucherschutz und Veterinärmedizin mit der Resistenzproblematik befasst. Das
ab 2006 in der Europäischen Union geltende Verbot des Einsatzes antibiotisch
wirksamer Wachstumsförderer wertet das BfR als Erfolg der Bemühungen und ersten
Schritt bei der Bekämpfung von Resistenzen. "Damit sind wir aber noch lange nicht
am Ziel" so der Präsident des Bundesinstituts, Professor Andreas Hensel. "Wenn wir
die Wirksamkeit unserer Antibiotika langfristig für den Gesundheitsschutz der
Verbraucher erhalten wollen, müssen wir den Antibiotikaeinsatz auch in der
Tierhaltung weiter reduzieren". Insbesondere bei der Behandlung ganzer Herden, in
denen nur einzelne Tiere erkrankt sind, sahen die Wissenschaftler verbesserte
Haltungsbedingungen, konsequente Hygiene und den verstärkten Einsatz von
Impfstoffen als Alternative zur Anwendung von Antibiotika.

Die Veranstaltung, an der rund 200 Wissenschaftler aus 16 Ländern teilnahmen, fand
auf Initiative des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft unter Beteiligung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit sowie der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft statt.
Unter den Teilnehmern waren zahlreiche Vertreter internationaler Organisationen,
wie z.B. der Weltgesundheitsorganisation, der Welternährungsorganisation und des
Internationalen Tierseuchenamtes. Die Ergebnisse des Symposiums wird das BfR in
die Bewertung des Risikos, das aus dem Einsatz von Antibiotika bei Lebensmittel
liefernden Tieren resultiert, einfließen lassen. Die Risikobewertungen bilden die
Grundlage für Handlungsempfehlungen, die das BfR dem Management zur
Risikominimierung unterbreiten wird. Die Empfehlungen sollen die Grundlage für
eine Folgeveranstaltung zum Risikomanagement sein, die das Bundesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im kommenden Jahr organisiert.

Seit Antibiotika zur Behandlung bakterieller Erkrankungen von Menschen und Tieren
eingesetzt werden, hat es Bakterien gegeben, die diesen "Angriff" überleben und
eine Resistenz ausbilden. In der Praxis resultierte daraus solange kein Problem,
wie die Resistenz frühzeitig erkannt wurde und ausreichend andere, wirksame
Substanzen zur Behandlung von Erkrankungen zur Verfügung standen. Seit Antibiotika
bei Mensch und Tier aber in großem Umfang eingesetzt werden und die Zahl der
Bakterien, die gleichzeitig gegen mehrere Antibiotika resistent sind, weltweit
steigt, stellt sich die Situation anders dar: Neue, wirksame Substanzen sind nicht
in Sicht und erste Todesfälle haben sich ereignet, weil die Therapie bei den
Patienten versagt hat. Vor diesem Hintergrund erfordert jede Anwendung
antibiotisch wirksamer Substanzen, unabhängig davon, ob sie beim Menschen oder
beim Tier eingesetzt werden, eine Abwägung zwischen Nutzen und Risiko.

Zwar konnte der Einfluss, den der Einsatz von Antibiotika bei Lebensmittel
liefernden Tieren in Deutschland auf die Resistenzentwicklung hat, auch bei der
jüngsten Veranstaltung im BfR nicht beziffert werden. Daran, dass Resistenzen über
tierische Lebensmittel und Produkte auf den Menschen übertragen werden können,
bestand aber kein Zweifel. Auf den Anstieg von Resistenzen gegenüber Antibiotika,
die beim Tier und beim Menschen eingesetzt werden, hat das BfR wiederholt
hingewiesen, zuletzt im April dieses Jahres in einem Pressedienst zu den
Ergebnissen eines Forschungsprojekts (BfR-Pressedienst 08/2003). Darin hatte das
Bundesinstitut ausdrücklich vor der Zunahme der Unempfindlichkeit von
Mikroorganismen gegenüber der Antibiotika-Substanzklasse der (Fluor)Chinolone
gewarnt.
Im Sinne der Vorsorge sprachen sich die Teilnehmer der Veranstaltung dafür aus,
alle

Möglichkeiten auszuschöpfen, die geeignet sind, das Risiko der
Resistenzentwicklung zu minimieren. Die Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika,
in der Tierhaltung und in der Humanmedizin, steht dabei im Vordergrund. Die
Teilnehmer an der Veranstaltung wiesen ausdrücklich darauf hin, dass die Therapie
von dieser Empfehlung ausgenommen ist: Wie jeder Mensch hat jedes kranke Tier
einen Anspruch auf Behandlung. Die Kritik der Wissenschaftler richtete sich
vielmehr gegen die sogenannte "metaphylaktische" Anwendung von Antibiotika, bei
der ein ganzer Bestand "behandelt" wird, nachdem einzelne Tiere erkrankt sind.
Weil die Dosierung bei dieser Behandlungsform stark variiert und einzelne Tiere
suboptimale Antibiotikamengen erhalten, können sich Resistenzen bevorzugt
ausbilden. Dass in diesem Bereich große Einsparpotentiale vorhanden sind, haben
die Skandinavier bewiesen: Sie konnten den Antibiotikaeinsatz in der Schweinemast
deutlich reduzieren und einen Rückgang der Resistenzen belegen, ohne dass die Zahl
der erkrankten Tiere in der Folge angestiegen wäre.


 



 

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