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AHO Aktuell - 17.09.2003

Auf Klärschlamm als Düngemittel verzichten


Stuttgart-Hohenheim (aho) - "Die vorliegende Untersuchung der LfU hat
Schadstoffanreicherungen in Ackerböden nachgewiesen. Auf Klärschlamm als
Düngemittel sollte deshalb ganz verzichtet werden", sagte Umwelt- und
Verkehrsminister von Baden-Württemberg Ulrich Müller am Mittwoch (17. September
2003) anlässlich des Fachsymposiums "Kein Klärschlamm in der Landwirtschaft" an
der Universität Stuttgart-Hohenheim, bei dem die neuen Ergebnisse der Untersuchung
zu klärschlammgedüngten Ackerböden in Baden-Württemberg diskutiert wurden. In der
aktuellen Studie der Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg (LfU) sei
erstmals nachgewiesen worden, dass durch die Klärschlammdüngung Schadstoffe in
Böden angereichert werden können, deren Risiken für die Umwelt und die
Nahrungsmittelqualität noch nicht absehbar sind. Neben den gut untersuchten und
reglementierten Schadstoffen wie den Schwermetallen wären im Klärschlamm eine
unüberschaubare Vielzahl an Schadstoffen enthalten, die sich einer Kontrolle und
sicheren toxikologischen Bewertung entziehen. Nach Aussagen der Wissenschaftler
der LfU hätten sich die Spuren der Klärschlammdüngung noch nach Jahren feststellen
lassen. "Der Klärschlammeinsatz auf Böden ist - nachdem was wir heute wissen - ein
Risiko. Die Entsorgung soll daher thermisch, z. B. durch Monoverbrennungsanlagen,
Mitverbrennung in Kohlekraftwerken oder in Zementwerken oder durch den Einsatz von
Klärschlammvergasungsanlagen erfolgen. Dies ist für den Verbraucher die beste
Lösung", erklärte Minister Müller.

Nach Darstellung des Ministers kann der Ausstieg aus der Klärschlammentsorgung in
der Landwirtschaft auf Landesebene nicht durchgesetzt werden, da die
Zuständigkeiten hierfür in Berlin und Brüssel liegen. Dort denke man zwar über
ergänzende Regelungen und Verschärfungen nach, eine generelle Abkehr von der
eingefahrenen Düngepraxis, wie beispielsweise in der Schweiz, finde jedoch keine
Mehrheit. Auch eine gemeinsame Initiative von Baden-Württemberg und Bayern sei
weder bei der Bundesregierung noch im Bundesrat erfolgreich gewesen. Als
Haupthindernis werden die Interessen der Klärschlammverwerter gesehen. "Wir setzen
auf Einsicht und Freiwilligkeit der Handelnden", so Minister Müller.
Abfallrechtsbehörden, Bodenschutzbehörden und Landwirtschaftsämter seien
angewiesen, von der landwirtschaftlichen Verwertung abzuraten. Diese Regelung sei
mit Landwirtschaftsminister Stächele abgestimmt. Das Ministerium für Ernährung und
Ländlichen Raum habe ohnehin bereits im Frühjahr 2001 seinen Dienststellen
empfohlen, aus Vorsorgegründen von der landwirtschaftlichen Verwertung abzuraten.

Mit einem umfangreichen Maßnahmenbündel sollen die baden-württembergischen Böden
klärschlammfrei werden. Den kommunalen Kläranlagenbetreibern hat man mittlerweile
die Angst vor zu hohen Kosten genommen. Eine Kommission unter Leitung des Umwelt-
und Verkehrsministeriums rechnete vor, dass der Umstieg auf die Verbrennung im
ungünstigsten Fall zu Mehrkosten von 6 – 17 Cent je Kubikmeter Abwasser führen
kann. Bei durchschnittlichem Verbrauch einer vierköpfigen Familie würden die
Mehrkosten zwischen 9,60 Euro und 27,20 Euro pro Jahr liegen. Aber auch bei der
landwirtschaftlichen Verwertung ist wegen des zunehmenden Untersuchungs- und
Kontrollaufwandes mit Kostensteigerungen zu rechnen. Erste Kläranlagenbetreiber
berichten mittlerweile sogar von Kostensenkungen beim Wechsel zur thermischen
Entsorgung. Auch aus Sorge um eine zunehmende Unsicherheit des
landwirtschaftlichen Verwertungsweges setzt das Umwelt- und Verkehrsministerium
auf eine gezielte Förderung von Investitionen zur Klärschlammvorbehandlung mit dem
Ziel der thermischen Entsorgung. "Der Ausstieg ist machbar und für die Verbraucher
finanzierbar", erklärte Bürgermeister Dr. Dr. h.c. Günther Nufer aus Bad
Säckingen.

Obwohl immer weniger Betriebe Klärschlamm als Dünger einsetzen, ist bei den
Landwirten weitere Überzeugungsarbeit zu leisten. Der Boden stellt den
wertvollsten Besitz des Landwirtes dar. Schadstoffeinträge über den Klärschlamm
mit dem Risiko einer schleichenden Vergiftung möchten immer weniger Landwirte in
Kauf nehmen.

Prof. Dr. Jörg Metzger von der Universität Stuttgart berichtete auf der
Veranstaltung über vielfältige Schadstoffe in den Klärschlämmen, bei denen weniger
die klassischen Schwermetalle sondern vor allem die unüberschaubare Vielzahl
organischer Schadstoffe mit ökotoxischer oder hormoneller Wirkung Anlass zur Sorge
geben. Wirkstoffe von Arzneimitteln, Haushaltschemikalien, Flammschutzmittel,
Weichmacher und Rückstände aus Verbrennungsvorgängen fänden sich in teilweise
beachtlichen Mengen im Klärschlamm. Aufgrund ihrer hohen Stabilität reicherten
sich viele dieser Stoffe im gedüngten Ackerboden an. Nach Aussage von Dr. Peter
Dreher, LfU, wurden im Rahmen einer landesweiten Untersuchung klärschlammgedüngter
Böden eine breite Schadstoffpalette - Schwermetalle, Dioxine,
Organozinnverbindungen bis hin zu polyzyklischen Moschusverbindungen -
nachgewiesen.

Obwohl die Entsorger hohe Prämien für die Abnahme von Klärschlamm zahlen und dies
den arg gebeutelten Betrieben gut tun würde, bewertet Prof. Zeddies die
Klärschlammdüngung als Risikogeschäft für die gesamte Branche. Er wies darauf hin,
dass bei der Verbrennung des Klärschlamms auch der Heizwert und der Beitrag zur
Emissionsminderung gegengerechnet werden müsse, und dies nicht nur bei CO2,
sondern auch bezogen auf Lachgas und Methan. Wie der Hohenheimer Agrarökonom
vorrechnete, stehen dem Düngewert von Klärschlamm ökonomische Nachteile gegenüber,
die der Landwirtschaft und der Ernährungsindustrie durch den Imageverlust
entstehen. Nicht nur der Endverbraucher, sondern auch die Ernährungsindustrie
setzen daher zunehmend auf Lebensmittel, die ohne Klärschlamm erzeugt würden. Die
Firma Hipp, Herstellerin von Babynahrung aus Pfaffenhofen, stellte in Hohenheim
ihr Qualitätssicherungskonzept vor. Das Ministerium für Ernährung und Ländlichen
Raum setzt bei der Qualität der Erzeugnisse an und macht den Verzicht auf den
Klärschlammeinsatz zur Voraussetzung für die Teilnahme am neuen Herkunfts- und
Qualitätszeichen Baden-Württemberg (HQZ).

Wie Minister Müller abschließend deutlich machte, bleibt als Zukunftsaufgabe die
Rückgewinnung von Phosphat aus Klärschlamm, um dadurch ein unbelastetes
Düngemittel zu erhalten. Phosphat ist zwar eine weltweit stark begrenzte
Ressource. Niedrige Marktpreise der Lagerstättenphosphate verhindern jedoch
bislang die großtechnische Realisierung alternativer Recyclingverfahren, da diese
wegen der hohen Kosten noch nicht konkurrenzfähig sind. "An der
Phosphatrückgewinnung aus Klärschlamm wird intensiv geforscht, damit diese
begrenzte Ressource der Landwirtschaft möglichst bald als unbelastetes Düngemittel
zur Verfügung steht", erklärte Minister Müller.



 



 

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