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AHO Aktuell - 22.05.2003

Functional Food für Tiere im Visier der Wissenschaft


Von Edith Moos-Nüssli, LID vom 22. Mai 2003.

Seit vor vier Jahren Antibiotika als Leistungsförderer verboten wurden, haben
natürliche Futterzusatzstoffe Konjunktur. Die Wissenschaft beurteilt die Wirkung
der Zusätze zurückhaltend. Wichtiger seien das Grundfutter, die Haltung und die
Zucht.

„Eine Futterration ohne leistungsfördernde Zugabe gilt oft als unvollständig, als
nicht modern und nicht innovativ“, sagte Fütterungsexperte Hans Peter Pfirter an
der Tagung „Stellenwert der Futterzusatzstoffe in der Tierernährung“ an der ETH
Zürich. In seiner vierzigjährigen Tätigkeit (als Lehrbeauftrager an der ETH und
Forschungsleiter des grössten Schweizer Futtermittelherstellers, Anm. der Red.)
habe er immer wieder erlebt, dass bei Fütterungsfragen die vermeintlichen oder
tatsächlichen Effekte von Zusätzen stärker interessierten als die bedarfsgerechte
Ernährung der Nutztiere.

Ein Dschungel von Zusätzen

Futterzusatzstoffe haben in der Tierernährungsforschung Konjunktur, speziell seit
1999 niedrig dosierte Antibiotika als Leistungsförderer im Futter für Nutztiere
verboten wurden (siehe Kasten). An ihrer diesjährigen Frühlingstagung zog die
Gruppe Ernährung-Produkte-Umwelt des ETH-Instituts für Nutztierwissenschaften eine
erste Bilanz über die Wirksamkeit einzelner Futterzusatzstoffe für Schweine,
Hühner und Kühe. Mit dem Verbot der antimikrobiellen Leistungsförderer (AML) sind
Substanzen und Substanzgruppen als Futterzusätze in den Vordergrund gerückt, die
teils neu entwickelt oder aus der Versenkung wieder ans Tageslicht geholt wurden:
Organische Säuren und deren Salze, Enzyme, Milchsäurebakterien und andere
Probiotika sowie Kräuter und Gewürze. Dabei werden manchmal zu hohe Erwartungen
geweckt, meinte Pfirter. Nach bisherigen Befunden lässt sich mit ihnen die
Leistung weit weniger verbessern als mit AML. Der Engländer Gordon Rosen,
langjähriger Berater verschiedener Futtermittelhersteller, meinte gar: „Es gibt
viele Nicht-AML-Zusätze, wenige davon überzeugen.“ Er sprach von einem „Dschungel
von Futterzusatzstoffen“ und fand, es sei eine grosse Herausforderung, einen Weg
durch diesen Dschungel zu finden. „Dass ein Zusatzstoff in der Praxis verbreitet
angewendet wird, heisst nicht, dass er ökonomisch sinnvoll ist“, fand Rosen. Er
stellte deshalb in Zürich einen Kriterienkatalog für den seriösen Umgang mit
Forschungsarbeiten über Futtermittelzusätze vor.

Zitronensäure und Kräuter

Am meisten Erfolg versprechen sich die Tierernährungsspezialisten von organischen
Säuren und deren Salzen. Sie wirken antimikrobiell wie AML und verbessern so die
Mastleistung. Sie verändern aber auch den Geschmack. Ob die Schweine und Hühner
dadurch mehr fressen, hängt vom Geschmack und der Dosierung ab. Dank organischen
Säuren können die Tiere teilweise die Nährstoffe besser verwerten. Die Säuren
selber sind ferner eine Energiequelle und schliesslich können sie die Qualität des
Fleisches verbessern, vor allem beim Poulet. Dieses enthält weniger Salmonellen
und Campylobacter.

Auch für Kräuter und Pflanzenextrakte interessieren sich europäische
Ernährungsspezialisten in den letzten Jahren vermehrt. Sie lassen sich dabei von
vielen Ländern Asiens und Südamerikas inspirieren, wo solche Präparate schon seit
Jahrhunderten regelmässig angewendet werden. „Ein Grund dafür ist, dass
Konsumentinnen und Konsumenten Kräutern wesentlich mehr Vertrauen schenken als
industriell erzeugten Futterzusatzstoffen“, sagte Caspar Wenk, Professor für
Tierernährung an der ETH. Er ist jedoch überzeugt, dass Risiken für das Nutztier,
den Menschen und die Umwelt für alle Futterzusatzstoffe weitestgehend
ausgeschlossen werden können, wenn die Zusätze sinnvoll angewendet werden.

Tierfreundliche Haltung

Wenk und Pfirter machten in Zürich auch deutlich, dass Futterzusatzstoffe nicht
Mängel in der Fütterung, Haltung oder Zucht kaschieren dürfen. „Obwohl meist als
selbstverständlich vorausgesetzt, ist es heute keineswegs so, dass in der Praxis
stets einwandfrei zusammengesetzte Futterrationen vorliegen“, stellte Pfirter an
der ETH fest. Um die Fütterung zu verbessern, müssten die Wechselwirkungen
zwischen Verdauung und Futtermitteln noch besser erforscht werden. Ein
beachtliches Potenzial sieht er ausserdem in der Züchtung der Futterpflanzen.
Dafür müssten aber die Tierernährungsfachleute präzise Vorgaben formulieren.
In der Haltung sind laut Wenk eine angepasste Stalltemperatur, frische Luft,
ausreichend Platz und Stroh auf den Liegeflächen wichtig, damit die Tiere gesund
bleiben. Mit hohen Tierzahlen kombiniert mit Vollspaltenböden und überforderten
Stall-Belüftungssystemen hätten Tierhalter früher den Tieren oftmals zuviel
zugemutet, findet sein Kollege Pfirter. Dass Schweine bei tierfreundlicher Haltung
gesünder sind, bestätigt eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für
Landwirtschaft. In tierfreundlichen Ställen haben Schweine im Durchschnitt weniger
Stress und damit weniger abgebissene Schwänze. Weil sie sich mit Stroh
beschäftigen können, sind ihre Rüsselscheiben weniger verletzt. Ausserdem gibt es
in tierfreundlichen Ställen weniger antibiotikaresistente Keime.
Jedoch gab es grosse Unterschiede zwischen den untersuchten Betrieben, sowohl bei
Schweinen, die in konventionellen Ställen gemästet wurden, als auch bei Schweinen
in tierfreundlichen Ställen. Im Jahr 2000 wurde gut ein Viertel der Mastschweine
in einem besonders tierfreundlichen Stallsystem (BTS) gehalten und konnten
regelmässig ins Freie (RAUS). In tierfreundlichen Ställen werden auch weniger
Antibiotika eingesetzt. Am positivsten hat sich jedoch die systematische
Bekämpfung der Lungenseuchen EP und APP – von den Fachleuten Flächensanierung
genannt – ausgewirkt. Mehr Probleme macht seit dem AML-Verbot der Durchfall bei
Ferkeln.

Auf helles Kalbfleisch verzichten?

Die Tagung in Zürich zeigte ferner, dass insbesondere in der Kälbermast die
Situation seit den AML-Verbot nicht rosig ist: Zwei Drittel der Kälber bekommen
schweren Durchfall oder eine Lungenentzündung. Die getesteten Futterzusatzstoffe
haben hier bisher enttäuscht, sagte Andreas Gutzwiler von der Forschungsanstalt
für Nutztiere (RAP). Seit dem AML-Verbot werden deshalb in der Kälbermast mehr
therapeutische Antibiotika eingesetzt.
Um die Situation zu verbessern müsste man das System überdenken. Das Hauptproblem
ist, dass die Kälber von verschiedenen Betrieben zugekauft werden, in der Regel im
Alter von einer Woche, wenn das Immunsystem am schwächsten ist. Die Problematik
sehen auch die Mäster. „Im Alter von drei bis vier Wochen sind die Kälber
gesundheitlich stabiler“, sagt Fritz Abraham Oehrli, Präsident des Schweizerischen
Kälbermästerverbandes, gegenüber dem LID. Älter heisst aber auch schwerer und
damit teurer für die Mäster – und das drückt auf die Wirtschaftlichkeit der
Kälbermast, ausser man ändert das Preissystem.
Überdenken müsste man laut den Forschern auch, ob Kalbfleisch hell sein muss.
RAP-Versuche zeigen nämlich, dass Heu fressen mehr bewirkt als mögliche
AML-Ersatzpräparate. Damit die Kälber Heu fressen dürfen, müssten aber die
Konsumenten auf helles Kalbfleisch verzichten. Die höhere Eisenaufnahme mit dem
Heu hat nämlich zur Folge, dass Kalbfleisch häufiger rotfleischig ist. Heute
müssen die Kälbermäster dafür happige Preisabzüge in Kauf nehmen. Die Migros hat
sogar beschlossen, den 1999 gestrichenen Abzug für rosafarbiges Kalbfleisch auf
den 1. Juni 2003 wieder einzuführen.
Ob die Fleischfarbe entscheidend ist für den Verkaufserfolg, ist seit Jahren ein
umstrittenes Thema in der Branche. Hauptargument für helles Kalbfleisch ist die
optische Abgrenzung vom Rindfleisch. Die Kälbermäster befürchten, dass ohne
optischen Unterschied auch die Preisdifferenz zwischen Rind- und Kalbfleisch
entfällt. „Das wäre das Ende der bäuerlichen Kälbermast“, sagt Oehrli.

Gesundheit als Selektionskriterium

Für Fütterungsexperte Pfirter ist ein weiteres Problem, dass zum Beispiel die
Ferkel einer Versuchsgruppe bei gleicher Fütterung sehr unterschiedlich zunehmen.
Neben der Suche nach neuen Futterzusatzstoffen müssten auch die Möglichkeiten
genutzt werden, die Leistung der Tiere über die Zucht zu verbessern.
Bei der Zucht will auch Tiergenetiker Haja Kadarmideen ansetzen. Er forderte in
Zürich eine Kehrtwende in der Tierzucht. Man dürfe nicht länger rein auf Leistung
züchten und die Gesundheit nicht beachten. Tiere mit Krankheitsresistenz zu
züchten sei die zukünftige Herausforderung. Das Problem ist nur, dass heute die
elementare Voraussetzung fehlt, nämlich systematische Aufzeichnungen über
Krankheiten, zum Beispiel Euterentzündungen – im Fachjargon Mastitis genannt – bei
der Milchkuh. Das obwohl laut Kadarmideen die Selektion auf Krankheitsresistenz
wirtschaftlicher ist als Leistungszucht.

 



 

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