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AHO Aktuell - 15.05.2003

Studie: 11. AMG-Novelle belastet kleine Betriebe überproportional


Bakum (aho) – Anläßlich des 21. Bakumer Fachgesprächs am Samstag den 26. April
2003 stellten Prof. H. Grygo von der Fachhochschule Osnabrück und Prof. Th. Blaha
von der Außenstelle der Tierärztlichen Hochschule Bakum einer Studie zur Analyse
des Mehraufwandes durch die 11. Novelle des AMG vor. Die Rechtsnovelle fordert vom
Tierarzt einen erhöhten zeitlichen Aufwand für eine erweiterte Dokumentation der
Behandlungen und eine erhöhte Besuchsfrequenz auf den Betrieben. Wie die
Referenten darlegten, werden durch diesen Mehraufwand insbesondere kleine
landwirtschaftliche Betriebe benachteiligt. Hier ist der Zeitaufwand bis zu 200%
gestiegen. Die tierärztliche Betreuung von Klein- und Kleinstbeständen ist laut
dieser Studie aufgrund des zeitlichen Mehraufwandes und der daraus resultierenden
Mehrkosten akut gefährdet.

Prof. Blaha und Prof. Grygo hatten in einer Zeitaufwand-Studie zu den
tierärztlichen Tätigkeiten in der Nutztierpraxis 45 Tierärzte aus allen Regionen
Deutschlands mit 3100 betreuten Nutztierbeständen befragt.

Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1) Der in den Nutztierpraxen erfasste Zeitaufwand hängt in hohem Maße von
der Größe der betreuten Bestände ab und weist daher eine vergleichbar große
Variation auf, wie die Struktur der Tierhaltungen in Deutschland. Außerdem
bestehen große Unterschiede zwischen spezialisierten Rinder-, Schweine- und
Geflügelpraxen.

2) Aus den ermittelten Daten lässt sich, in den derzeitigen Praxis- und
Bestandsstrukturen, ein durchschnittlicher Mehraufwand von 5 bis 30 Minuten pro
Bestandsbesuch sowie von 3 bis 16 zusätzlichen Besuchen je Woche ableiten. Der
zusätzliche Zeitaufwand ist in erster Linie bedingt durch die fristendiktierten
Wiederholungsdiagnosen auf der Basis einer erneuten Bestandsbegehung (verbunden
mit dem jeweiligen Aufwand des An- und Ablegens von Schutzkleidung). Der zeitliche
Mehraufwand ist gering bei größeren, regelmäßig und für jeweils längere Zeit
besuchten Beständen, aber die bisherigen "Kurzbesuche" (Klein - und
Kleinstbestände) werden bis zu 200% mehr Zeit beanspruchen. Auf das Jahr
hochgerechnet wären das, unter Beibehaltung der derzeitigen Klientel, je nach
Praxis- und Bestandsstruktur zwischen 28 und 164 Tagen Mehrarbeit pro Tierarzt,
und zwar 25 bis 110 Tage durch längere Besuche, 1,5 bis 37,5 Tage durch
zusätzliche Besuche (zuzüglich gefahrene Kilometer) und 1 bis 14 Tage durch die
Umwidmung von Arzneimitteln.

3) Aus der Zeitstudie ergeben sich folgende Konsequenzen:

a) Eine auf die Sicherung der Tiergesundheit und des Verbraucherschutzes
ausgerichtete tierärztliche Betreuung aller derzeitigen Nutztierbestände erfordert
aufgrund des höheren Zeitbedarfs für die 1 : 1 - Umsetzung der 11. AMG-Novelle
mindestens 20 bis 30 % mehr Tierärzte.

b) Die tierärztliche Betreuung von Klein- und Kleinstbeständen ist aufgrund
des zeitlichen Mehraufwandes und der daraus resultierenden Mehrkosten akut
gefährdet.

c) Das Ziel der Verringerung des Arzneimittelbedarfes wird dadurch nicht
nur nicht erreicht, sondern ins Gegenteil verkehrt, dass aus der generell
geforderten Erhöhung der Besuchsfrequenz und der erforderlichen Besuchsdauer in
den einzelnen Beständen mit zu behandelnden Erkrankungen ein Zeitmangel zu
Ungunsten der auf die Tiergesundheit gerichteten qualifizierten tierärztlichen
Beratung und Betreuung (= "integrierte tierärztliche Bestandsbetreuung")
resultiert.

Aus dieser Analyse des Ist-Zustandes wurden im Verlaufe der Veranstaltung die
nachstehenden sechs Schlussfolgerungen gezogen:


1) Die so genannte 7-Tage-Regelung der 11. AMG-Novelle bindet in
erheblichem Maße tierärztliche Arbeitszeit, die zur tiergesundheitsorientierten
qualifizierten Beratung und Betreuung fehlt. Zur Vermeidung dieses negativen
Effektes muss die Arzneimittelabgabe und der Tierarztbesuch flexibel auf den durch
die planmäßig kumulativ dokumentierte Bestandsdiagnose determinierten fachlich
erforderlichen Bedarf ausgerichtet werden können. Das erfordert eine
zielorientierte, fachlich und juristisch abgesicherte Definition der integrierten
tierärztlichen Bestandsbetreuung, die eine amtstierärztliche Überwachung
gestattet. Inwieweit die "integrierte tierärztliche Bestandsbetreuung" direkt oder
indirekt und mit diesem Begriff in das AMG aufgenommen werden soll oder
kann, ist nicht Gegenstand dieser Schlussfolgerungen, solange das Prinzip der
Abhängigkeit der Abgabefristen von der Intensität und Zuverlässigkeit der
Tierarzt-Landwirts-Beziehung zum tragen kommt.

Der Erfolg der integrierten tierärztlichen Bestandsbetreuung wird wesentlich
bestimmt durch die jeweils zwischen Tierarzt und Tierhalter vertraglich
vereinbarte Qualität, Intensität, Zuverlässigkeit, Transparenz und Dokumentation
der Maßnahmen. Hierbei sind sowohl die ernormen Strukturunterschiede in der
Tierhaltung, als auch die sehr unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen
Tierarten und Betriebssysteme zu berücksichtigen (z.B. Intensiv- und
Extensivtierhaltung).

2) Zur Betonung der Zweiseitigkeit dieser Betreuungsvereinbarung sollte ein
Sachkundenachweis des Tierhalters für die ordnungsgemäße Verwahrung und Anwendung
von Arzneimitteln einbezogen werden (vergleichbar mit dem im Umgang mit
Pflanzenschutzmitteln geforderten Sachkundenachweis). Die vom Tierarzt zu
erfüllenden Anforderungen sollten sich an denen der
Schweinehaltungs-Hygieneverordnung orientieren.

3) Wichtiger Bestandteil der vertraglich zu vereinbarenden integrierten
tierärztlichen Bestandsbetreuung - als Basis für eine Flexibilisierung der
Arzneimittelabgabe - ist ein Evaluierungssystem, das die Einschätzung des Erfolges
tierärztlicher Maßnahmen zur Gesunderhaltung der Bestände und damit eine
Effizienzkontrolle des Arzneimitteleinsatzes gestattet. Dieses ist die Grundlage
für die angestrebte Verringerung des Arzneimittel- speziell des
Antibiotikabedarfs.

4) Aufgrund der Vielzahl von Determinanten für die Tiergesundheit wird es
nicht möglich sein, allein mit den Instrumentarien des Arzneimittelgesetzes eine
Verbesserung der gesundheitlichen Situation in den Nutztierbeständen und eine
Verminderung des Arzneimitteleinsatzes - speziell des Antibiotikabedarfs - zu
erreichen. Dazu bedarf es begleitender Maßnahmen des einzel- und überbetrieblichen
Tiergesundheitsmanagements (einschließlich der Überprüfung von
Produktionsabläufen).

5) Zur zeitsparenden und lückenlosen aktuellen Information des Tierarztes
über die Verfügbarkeit und Zusammensetzung spezifischer Arzneimittel sowie über
die Möglichkeiten der Umwidmung ist eine zentrale Internet-Datenbank mit
bedarfsgerechten Such- und Sortierfunktionen einzurichten.

6) Eine schnellstmögliche Harmonisierung der gesetzlichen Regelungen zum
Arzneimittelverkehr innerhalb der EU ist mit Nachdruck voranzutreiben, um zu
verhindern, dass Produkte von Tieren importiert werden, die einer Behandlung mit
in Deutschland verbotenen Arzneimitteln unterzogen worden sind. Nicht zuletzt gilt
es, hierdurch Vorsorge gegen eine deutsche Benachteiligung im EU-Wettbewerb zu
treffen.

Diesen Schlussfolgerungen wurde zum Abschluss der Veranstaltung (130 Tierärzte aus
allen Regionen Deutschlands) im Beisein von Vertretern des BPT-Vorstandes, der
Tierärztekammer Niedersachsen sowie der Veterinärverwaltung der Bundesländer
Nordrhein-Westfalen (Dr. Bottermann) und Niedersachsen (Dr. Baumgarte) per
Akklamation zugestimmt.

Quelle:
21. Bakumer Fachgespräch
Samstag, 26. April 2003, Bakum
Die Umsetzung der 11. Novelle des AMG: Erste Erfahrungen, Probleme und
Lösungsansätze

 



 

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