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AHO Aktuell - 08.05.2003

Jungebermast wäre die beste Lösung


Von Roland Wyss-Aerni, LID vom 8. Mai 2003

Die Kastration von Ferkeln ohne Betäubung ist den Tierschützern schon lange ein
Dorn im Auge. Auch Tierärzte, Behörden und Mäster sind daran interessiert,
Alternativen zu finden. Gar keine Kastration wäre allen am liebsten.


Eberfleisch stinkt. Diese Aussage, so pauschal, stimmt zwar nicht ganz. Aber Eber
bilden während der Geschlechtsreife Pheromone, die zu einem charakteristischen
Geruch im Fleisch führen. Diesen Geruch mögen viele Konsumentinnen und Konsumenten
gar nicht. Deshalb werden männliche Ferkel kurz nach der Geburt kastriert.
Tierschützer stören sich schon lange daran, dass die Kastration ohne Betäubung
erfolgt. Die Ferkel dürfen, im Gegensatz zu allen anderen Nutztieren, während der
ersten zwei Wochen ohne Betäubung kastriert werden. Dies, weil es im Moment keine
praktikable und bezahlbare Art der Betäubung gibt. Wenn auf einem Betrieb mit 200
Ferkeln jedes kastriert werden soll, muss der Eingriff möglichst rasch vor sich
gehen.

„Am schönsten wäre es, wenn man gar nicht kastrieren müsste“, sagt Hans Wyss,
Direktor des Bundesamtes für Veterinärwesen. Wenn man aber zum Schluss komme, das
eine Kastration nötig sei, dann stelle sich die Frage, wie hoch die
Stressbelastung für die Tiere und wie praxistauglich das Verfahren sei.
An der Universität Bern werden seit einigen Jahren Studien mit verschiedenen
Betäubungsmitteln durchgeführt. Projektleiter Urs Schatzmann bezeichnet die
routinemässige Betäubung mit Isofluran als machbar. Die Betäubung müsste aber
wahrscheinlich von Tierärzten durchgeführt werden, was weitere Kosten verursachen
würde. Ueli Niklaus, Präsident des Produzentenverbandes Suisseporcs, sieht deshalb
für die Betäubung „keine Zukunft“.
Seit einiger Zeit wird emsig nach Möglichkeiten gesucht, das Problem Ebergeruch
bei der Wurzel zu packen. Gelingt es nämlich, die Entstehung der für den
Ebergeruch verantwortlichen Pheromone – Androstenon und Skatol – zu verhindern,
dann erübrigt sich die Kastration.

Besser: Impfen oder Füttern

Die Impfung gegen Ebergeruch wird an der Universität Zürich untersucht. Durch die
Impfung wird die Hodenfunktion ausgeschaltet. Die Tiere werden zweimal geimpft,
acht und vier Wochen vor der Schlachtung. Das Prinzip wird in Australien bereits
mit Erfolg angewendet. Auch die Zürcher Forscher bezeichnen die Methode als
zuverlässig und praktikabel: Der Ebergeruch werde deutlich unterdrückt, das
Fleisch könne problemlos konsumiert werden.
Noch eleganter wäre es, die Bildung von Androstenon direkt zu hemmen. Diesen
Ansatz verfolgt ein Forschungsteam seit letztem Herbst an der ETH Zürich. „Der
Vorteil gegenüber der Impfung wäre, dass direkt auf die entscheidenden Hormone
eingewirkt wird“, sagt Projektleiter Hannes Jörg. Die Bildung etwa von Testosteron
würde nicht beeinträchtigt und damit auch nicht die Fähigkeit, Fleisch anzusetzen.
Ferner sei die Verabreichung einfacher, da sie mit der Fütterung geschehe. Die
Forscher untersuchen 35 Stoffe mit unterschiedlich starker Wirkung. Die
Herausforderung ist, Stoffe zu finden, die genügend wirksam sind, sich aber rasch
genug abbauen, so dass im Fleisch keine Rückstände feststellbar sind. Welche
Stoffe am geeignetsten sind, wird in rund zwei Jahren bekannt sein.

Noch besser: Jungebermast

Das Beste für alle – für die Tierschützer, für die Schweinemäster und nicht
zuletzt für die Schweine – wäre die so genannte Jungebermast ohne jeden
chirurgischen oder medikamentösen Eingriff. Für die Tierschützer und Schweine aus
nahe liegenden Gründen und für die Mäster, weil unkastrierte Tiere schneller
wachsen und das Futter besser verwerten. Das Problem ist dann, Fleisch zu
erkennen, das von manchen Konsumenten wegen seines Geruchs möglicherweise
abgelehnt würde.
Zu diesem Zweck entwickelt die Eidgenössische Forschungsanstalt für Nutztiere in
Posieux (RAP) die so genannte elektronische Nase. Dabei handelt es sich um eine
Vielzahl von elektronischen Sensoren, die flüchtige Gasverbindungen wie die
gesuchten Stoffe Androstenon und Skatol erkennen. Entscheidend ist nicht die Menge
von Androstenon oder Skatol, sondern die Mischung, wie Silvia Ampuero von der RAP
erklärt. In Dänemark sind bereits elektronische Nasen im Einsatz, die
Androstenonmengen messen. Möglicherweise seien auch noch weitere Stoffe am
Ebergeruch beteiligt, sagt Ampuero.
Die Identifizierung von „stinkenden“ Fleischproben geschieht mit einem einfachen
Vergleich. Eine Expertengruppe von 10 bis 15 Personen beurteilt Fleischstücke aus
der Ebermast und sondert die übel riechenden aus. Daraus wird ein gemeinsames
Muster eruiert, mit dem die elektronische Nase dann andere übel riechende
Fleischstücke identifizieren kann.
Die Gruppe von 10 bis 15 Personen ist natürlich nicht repräsentativ für die
Schweizer Bevölkerung. Die Konsumentinnen und Konsumenten reagieren überhaupt ganz
unterschiedlich. Frauen sind im Schnitt empfindlicher als Männer, Zentraleuropäer
sind empfindlicher als Engländer oder Spanier. Vorerst gehe es aber darum, die
Tauglichkeit des Verfahrens zu prüfen, sagt Silvia Ampuero. In zwei Jahren sollen
die Versuche an der RAP abgeschlossen sein.

Mäster waren bisher skeptisch

Die RAP hat schon Anfang der Achtzigerjahre zur Jungebermast geforscht und kam zum
Schluss: Es ist machbar. Allerdings waren die Produzenten damals skeptisch. „Ihnen
wurde von verschiedenen Kreisen Angst gemacht“, meint Peter Stoll von der RAP. Die
Schlussfolgerung war dann: So lange kein objektiver Geruchstest möglich ist, hat
die Jungebermast keine Chance. Diesen Geruchstest will die Forschungsanstalt mit
der elektronischen Nase nun selber liefern. Die Mäster sollen so die Chance
erhalten, auf Jungebermast umzustellen ohne befürchten zu müssen, dass „stinkendes
“ Fleisch, den Ruf von Schweinefleisch zerstört. Stoll ist es aber auch ein
Anliegen, dass Fleisch, das den Geruchstest nicht besteht, verwertet wird und
einen angemessenen Erlös bringt.
Dieses Ziel verfolgt auch die Nutztierschutzorganisation Kagfreiland. „Für
‚stinkendes’ Fleisch erhalten die Produzenten heute im Schnitt gerade mal einen
Franken pro Kilogramm“, sagt Heinz-Georg Kessler von Kagfreiland. Dabei könne man
dieses Fleisch sehr wohl verwerten, sei es in verarbeiteten Waren wie Bratwürsten
oder auch als Trockenfleisch. „Wenn man das Fleisch nicht erhitzt, stinkt es
nämlich gar nicht“, sagt Kessler. Kagfreiland hat vor zwei Jahren ein
Jungebermastprojekt abgeschlossen, bei dem 41 Jungeber gemästet wurden. Im
Spätsommer soll ein neues Projekt gestartet werden, das doppelt oder dreimal so
gross ist – in Ergänzung zu den RAP-Forschungsprojekten, wie Kessler sagt. „Wir
wollen wissen, wie die Schweizer das Eberfleisch akzeptieren.“
Ueli Niklaus von Suisseporcs glaubt nicht, dass Schweizerinnen und Schweizer
gleich „geruchsresistent“ sind wie die Spanier oder Engländer, ist. Er könne sich
aber durchaus vorstellen, dass auch in der Schweiz dereinst die Jungebermast
praktiziert wird, meint er.

 



 

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