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AHO Aktuell - 13.02.2003

Clevere Strategien gegen clevere Wildschweine sind gesucht


Von Andreas Minder

LID - Immer mehr Wildschweine sorgen für immer mehr Schäden auf den Äckern
im Schweizer Mittelland. Als Gegenmassnahme hat der Bund die Schonfrist
verkürzt. Doch dies ist nur ein kleiner Teil der Lösung. Gefragt sind vor
allem neue Strategien bei der Jagd.

Auf dem Landwirtschaftsbetrieb von Willi Sutter aus Fisibach (AG) gibt es
zwei Felder, auf denen er nichts erntet. Die Parzellen liegen in
Waldlichtungen und wurden regelmässig derart zugerichtet, dass Sutter sie
kurzerhand aus der Fruchtfolge nahm. Seit Jahren gedeihen dort Ökowiesen, um
die er sich nicht mehr kümmert. Leider geben sich die Wildschweine damit
nicht zufrieden und so steht Sutter immer wieder vor verwüsteten
Maisfeldern: „Das ist ein Riesenfrust.“ Wildschweine vermehren sich rasant
Solchen Frust erleben viele Bauern im Schweizer Mittelland. Schuld daran ist
eine wachsende, aber unbekannte Zahl von Wildschweinen. Diese lassen sich
nicht zählen, weil sie scheu, nachtaktiv und nicht sehr standorttreu sind.
Bekannt ist dagegen, wie viele geschossen werden. Die eid-genössische
Jagdstatistik zeigt, dass seit Anfang der siebziger Jahre immer mehr
Wildschweine erlegt wurden. 1990 waren es erstmals über Tausend. Seither
sind die Zahlen massiv angestiegen (siehe Infografik). 2001 wurden 4’690
Wildschweine erlegt, ein neuer Rekord. Und alles deutet darauf hin, dass er
bald wieder gebrochen wird.
Von den Abschusszahlen kann allerdings nicht direkt auf den Bestand
geschlossen werden. Die intensivere und effizientere Jagd ist auch ein Grund
für die stark steigenden Zahlen. Einen besseren Hinweis auf die Entwicklung
der Population gibt möglicherweise das sogenannte „Fallwild“. Das sind
Tiere, die nicht durch die Kugel, sondern beispielsweise durch
Verkehrsunfälle umkommen. Auch hier gilt: Tendenz steigend. Allerdings nicht
im gleichen Mass wie bei den Abschüssen.
Es bestehen also keine Zweifel, dass es immer mehr Wildschweine gibt, und
dass der Höhepunkt noch nicht erreicht ist. Sie werden in südlichere, bisher
noch nicht besiedelte Regionen vorstossen und im nördlichen Mittelland wird
die Population in vielen Gebieten noch zunehmen.

Eine Vielzahl von Ursachen

Verschiedene Gründe begünstigen die Vermehrung der Wildschweine: Erstens
steht den Wildschweinen in Feld und Wald ein üppiges Nahrungsangebot zur
Verfügung. Bevorzugte landwirtschaftliche Kulturen sind Mais, Kartoffeln,
Rüben und Getreide. Die Anbaufläche von Mais, den die Wildschweine besonders
lieben, hat sich seit 1960 verzwanzigfacht. Zweitens trugen Buchen und
Eichen in den milden Wintern der letzten Jahre häufig viele Buchnüsschen und
Eicheln. Früher war das nur alle fünf bis sieben Jahre der Fall. Drittens
führt das reichlich vorhandene Futter dazu, dass sich die Wildschweine
rascher vermehren. Die weiblichen Wildschweine, die Bachen, werden früher
geschlechtsreif und können pro Jahr nicht nur einmal, sondern zweimal Junge
zur Welt bringen – bis zu acht Frischlinge pro Wurf. Viertens überleben dank
den milden Temperaturen immer mehr Jungtiere den Winter, und weil seltener
Schnee liegt, sind die Spuren der Wildschweine kaum zu finden. Dies macht
die Jagd schwieriger. Fünftens wandern immer noch Wildschweine aus dem
Norden in die Schweiz ein, weil die Bestände dort noch höher sind und die
Jagd intensiver. Und schliesslich gibt es Fehler bei der Bejagung: Immer
wieder kommt es vor, dass Leitbachen geschossen werden. Das ist doppelt
schlecht: Die führungslosen Rotten verursachen höhere Schäden und die
Jungsauen werden früher geschlechtsreif – die Reproduktionsrate steigt.

Mit der Zahl der Wildschweine nehmen auch die Schäden zu, die sie in der
Landwirtschaft anrichten. In den letzten beiden Jahren gab es einen Sprung
nach oben. 1999 lagen die Entschädigungszahlungen bei etwas mehr als einer
Million Franken. 2000 stiegen sie auf 1,8 Millionen, 2001 auf fast 2,8
Millionen. Diese Zahlen beruhen auf Angaben der Kantone, deren
Entschädigungsgrundsätze sehr unterschiedlich sind und sich verändern. Den
zeitlichen und finanziellen Aufwand, den Jäger und Landwirte betreiben um
Schäden zu vermeiden, enthalten sie nicht. Die Zahlen geben deshalb kein
genaues Bild der Schadenssituation wieder.

Landwirte und Jäger spannen jetzt zusammen

In der Vergangenheit hatten sich Bauern, Jäger und Jagdverwaltungen nicht
selten gegenseitig die Schuld für die Wildschäden in die Schuhe geschoben.
In letzter Zeit haben sie sich in mehreren Kantonen zusammengerauft und
wollen gemeinsam vorgehen. Wundermittel gibt es allerdings keine. „Wir
müssen uns mit den Wildschweinen arrangieren. Und auch damit, dass sie
Schäden anrichten“ sagt Hansjörg Blankenhorn, der eidgenössische
Jagdinspektor. Das heisst aber nicht, dass die Schäden im gleichen Mass
zunehmen müssen wie bisher.
Um den Wildschweinen die Sache nicht allzu leicht zu machen, sollten
landwirtschaftliche Kulturen nicht direkt am Waldrand angebaut werden.
Wichtig ist auch, dass die Landwirte den Jagdgesellschaften melden, was sie
anpflanzen, damit die Jäger die Kulturen schützen können. In besonders
gefährdeten Gebieten sind weitere Massnahmen wie das Einzäunen von
wertvollen Kulturen (Gemüse, Zuckerrüben, Kartoffeln und so weiter), das
Abmulchen von Weiden oder das Auflesen der Maiskolben nach der Ernte
angezeigt. Je nach kantonaler Regelung müssen diese Bedingungen erfüllt
sein, damit Schäden vergütet werden. Womit schon gesagt ist, dass Zäune die
Wildschweine nicht immer abhalten.

Die intelligenten Wildschweine müssen intelligent gejagt werden

Wildschweine sind eine Herausforderung für Jäger. Beat Wolfer, der
Vizepräsident des Allgemeinen Schweizerischen Jagdschutz-Verbandes: „Das
Wildschwein ist ein faszinierendes Wild. Seine Intelligenz verlangt auch von
uns Jägern viel Flexibilität.“ Um die Anpassungsfähigkeit der Wildschweine
zu parieren, muss die Jagdmethode übers Jahr immer wieder gewechselt werden.
Ansitz, Pirsch und Bewegungsjagd (vgl. Kasten) müssen abwechselnd angewendet
werden.
Ein neuer Ansatz ist die Intervalljagd: Dabei werden die Wildschweine im
Wald nur während wenigen Tagen und jeweils im Abstand von mehreren Wochen,
dann aber intensiv bejagt. Das hat den Vorteil, dass die Aufmerksamkeit der
Tiere während der Jagdpausen nachlässt und mehr Wildschweine zur Strecke
gebracht werden können. Gleichzeitig werden sie so auch weniger aufs Feld
hinausgedrängt.

Ablenkfütterung bringt nichts

Umstritten ist die Ablenkfütterung. Sie soll die Wildschweine im Wald
beschäftigen und von den Kulturen fern halten. Der Aargauer Jagd- und
Fischereiverwalter René Urs Altermatt ist der Meinung, dass diese Strategie
nur in ruhig gelegenen, grossen Wäldern funktionieren kann. Diese sind aber
in der kleinräumigen Schweiz eine Rarität. Das Kulturland ist oft viel zu
nahe, womit die Ablenkfütterung ihren Zweck nicht erfüllen kann. Sie hat
ausserdem den Nachteil, dass das Nahrungsangebot für die Tiere noch reicher
wird. Selbst bei der Kirrung (Anlocken mit Futter) mit Bejagung – der
meistverbreiteten Jagdmethode in den Revierkantonen (vgl. Kasten) – bestehe
diese Gefahr der ungewollten Wildschweinefütterung.
Nicht nur die Jagdmethoden, auch die Jagdorganisation muss wegen den
Wildschweinen überdacht werden. Für eine wirkungsvolle Wildschweinjagd sind
die meisten Jagdreviere zu klein. Die Jagd sollte in Gebieten von mehreren
tausend Hektaren koordiniert, geplant und durchgeführt werden. Reviere
schliessen sich deshalb immer öfter zu Schwarzwildringen zusammen.
Bis Mitte Jahr wird eine Arbeitsgruppe des Bundesamtes für Umwelt, Wald und
Landschaft (Buwal), in der die Kantone, Bauern- und Jagdvertreter und
weitere Interessengruppen mitwirken, eine „Praxishilfe Schwarzwild“
vorlegen. Darin sollen Wege aufgezeigt werden, wie die Wildschweinjagd
organisiert und Schäden verhütet werden können.

Schonzeit schon vorher durchlöchert

Das eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und
Kommunikation (UVEK) hat am 27. Januar 2003 die Schonzeit für Wildschweine
im Rahmen eines dreijährigen Versuchs um eineinhalb Monate verkürzt. Sie
dauert neu vom 1. März bis zum 15. Juni. Gemäss eidgenössischem Jagdgesetz
umfasst sie die Periode vom 1. Februar bis zum 30. Juni. Die gesetzliche
Schonzeit für Wildschweine wurde in stark betroffenen Gegenden aber schon
länger durchlöchert. Möglich war dies dank einer grosszügigen Auslegung des
Jagdgesetzes, wonach die Kantone „jederzeit Massnahmen gegen einzelne
geschützte oder jagdbare Tiere, die erheblichen Schaden anrichten, anordnen
oder erlauben“ können.
Vielerorts führte dies zu einer faktischen Aufhebung der Schonzeit. Bis zu
50 Prozent der Wildschweine wurden während der Schonzeit im Wald erlegt.
„Das war ganz klar nicht im Sinn des Gesetzes,“sagt dazu der Aargauer Jagd-
und Fischereiverwalter René Urs Altermatt. Und trotz der pausenlosen
Bejagung nahmen die Schäden in der Landwirtschaft zu.

Neue Richtlinien für die Schonzeit helfen

Deshalb wurden letztes Jahr in den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft,
Solothurn, Schaffhausen, Thurgau und Zürich die Richtlinien für die
Schonzeit im Frühling angepasst. Wildschweine, die jünger als zwei Jahre alt
sind, dürfen nun während der Schonzeit nur noch im freien Feld geschossen
werden. Das soll bewirken, dass sie sich in den sicheren Wald zurückziehen.
Im Kanton Zürich wird bereits seit zwei Jahren so gejagt. Mit ersten
Erfolgen, wie Max Straub, der Chef der Zürcher Fischerei- und Jagdverwaltung
sagt: „In einigen Revieren konnten die Schäden stark verringert werden.“ Die
bisherigen Resultate sind zwar vielversprechend, für eine abschliessende
Beurteilung der Strategie ist es aber noch zu früh. Wildschweine sind immer
wieder für Überraschungen gut.
Mit der nun beschlossenen Verkürzung der Schonzeit kamen Bund und Kantone
jenen Jägern und Bauern ein Stück weit entgegen, die die Beschränkung der
Jagd während der Schonzeit kritisieren. Lieber wäre ihnen aber immer noch
die frühere, „schonzeitfreie” Lösung. Da die meisten Wildschweine im Wald
geschossen würden, sei es falsch die Jagd dort zu beschränken, argumentieren
sie. Dem hält Beat Wolfer, der Vizepräsident des ASJV entgegen, man müsse
das Feuer nicht dort löschen, wo Wasser sei, sondern dort, wo es brenne. Und
brennen wird es im Frühling bald wieder

Die Jagd in der Schweiz

am. In der Schweiz gibt es zwei verschiedene Jagdsysteme. Im Mittelland
östlich von Bern gibt es die Revierjagd, in der übrigen Schweiz die
Patentjagd. In der Revierjagd verpachtet eine politische Gemeinde das
Jagdrecht einer Jagdgesellschaft. In diesem Revier dürfen dann
ausschliesslich die Pächter und eingeladene Jäger jagen. Die Revierjäger
sind im Allgemeinen Schweizerischen Jagdschutz-Verband (ASJV)
zusammengeschlossen. In Kantonen mit Patentjagdsystem darf jede Person
jagen, die die Jägerprüfung bestanden und die Patentgebühr bezahlt hat. Der
Kanton legt fest, welche und wie viele Tiere ein Jäger erlegen darf. Die
Deutschschweizer Patentjäger sind im Schweizerischen Patentjäger- und
Wildschutzverband (SPW) organisiert.
Es gibt drei wichtige Jagdmethoden in der Schweiz: Bei der Pirsch versucht
der Jäger dem Wild zu folgen und es anzuschleichen. Beim Ansitz wartet er an
einem günstigen Ort, vielfach auf einem Hochsitz, auf das Wild. Häufig wird
dabei Futter ausgelegt um die Wildschweine anzulocken (Kirrung). An der
Bewegungsjagd beteiligen sich Treiber und Jäger. Die Treiber, häufig
unterstützt durch Hunde, versuchen das Wild den im Gelände verteilten
Jägern zuzutreiben.



 



 

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