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AHO Aktuell - 30.07.2002

BVG: Bundesregierung darf Verbraucher warnen


Karlsruhe (aho) - Mit Beschluss vom 26. Juni 2002 hat der Erste Senat
des Bundesverfassungsgerichts (BVG) die Zulässigkeit staatlicher
Verbraucherinformationen bejaht. Anlass war der Glykol-Skandal des
Jahres 1985. Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit
hatte damals eine Liste mit Weinen herausgegeben, bei denen
Diethylenglykol (DEG) festgestellt worden war. Die Beimischung von DEG
widersprach dem Weingesetz. Die Beschwerdeführer sind Weinkellereien,
die mit mehreren Produkten unter namentlicher Bezeichnung in der Liste
aufgeführt worden waren. Sie behaupten, Rufschäden und Umsatzeinbußen
erlitten zu haben. Ihre Klagen gegen die Listenveröffentlichung waren
bei den Verwaltungsgerichten erfolglos. Der Erste Senat hat ihre
Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.

In der Begründung für seine Entscheidung nimmt der Senat insbesondere
zur Reichweite der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG und zum
Informationshandeln der Bundesregierung Stellung und führt im
Wesentlichen aus:

a) Der Schutz der Berufsfreiheit von Unternehmen wird durch die
rechtlichen Regeln mitbestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und
begrenzen. Die Wettbewerbsposition und damit auch der Umsatz der am
Markt tätigen Unternehmen sind dem Risiko laufender Veränderung je nach
den Marktverhältnissen ausgesetzt. So setzt sich ein am Markt tätiges
Unternehmen der Kritik an der Qualität seiner Produkte aus und muss
daraus entstehende Folgen für seinen Markterfolg hinnehmen. Art. 12
Abs. 1 GG vermittelt kein Recht des Unternehmens, nur so von anderen
dargestellt zu werden, wie es gesehen werden möchte oder wie es sich
und seine Produkte selber sieht.

b) Art. 12 Abs. 1 GG schützt Marktteilnehmer nicht vor der Verbreitung
zutreffender und sachlich gehaltener Informationen am Markt. Auch der
Staat darf marktbezogene Informationen verbreiten. Die Rechtsordnung
zielt auf Markttransparenz, indem sie auf ein hohes Maß an
markterheblichen Informationen ausgerichtet ist.

Die inhaltliche Richtigkeit einer wettbewerbserheblichen Information
ist grundsätzlich Voraussetzung dafür, dass sie die Transparenz am
Markt und damit dessen Funktionsfähigkeit fördert. Verbleiben trotz
sorgfältiger Prüfung durch die staatliche Stelle Unsicherheiten über
die Richtigkeit, sind die Marktteilnehmer darauf hinzuweisen. Auch bei
zutreffendem Inhalt darf eine staatliche Information in der Form weder
unsachlich noch herabsetzend sein.

c) Die Bundesregierung ist auf Grund ihrer Aufgabe der Staatsleitung
überall dort zur Informationsarbeit berechtigt, wo ihr eine
gesamtstaatliche Verantwortung zukommt, die mit Hilfe von Informationen
wahrgenommen werden kann.

Zur Aufgabe der Staatsleitung der Regierung gehört es, durch
rechtzeitige Informationen die Bewältigung von Konflikten in Staat und
Gesellschaft zu erleichtern, auf Krisen schnell und sachgerecht zu
reagieren sowie den Bürgern zu Orientierungen zu verhelfen. Aktuelle
Krisen im Agrar- und Lebensmittelbereich zeigen beispielhaft, wie
wichtig öffentlich zugängliche, mit der Autorität der Regierung
versehene Informationen zur Bewältigung solcher Situationen sind
(vgl. Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 -).

Die Bundesregierung muss auch im Bereich des Informationshandelns die
Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern wahren. Die
Bundesregierung ist berechtigt, Informationen zu verbreiten, wenn sie
sich auf Vorgänge mit überregionalem Charakter beziehen und eine
bundesweite Informationsarbeit die Effektivität der Problembewältigung
fördert. Durch dieses Informationshandeln wird weder das der
Landesregierungen ausgeschlossen oder behindert noch wird den
Verwaltungsbehörden verwehrt, ihre administrativen Aufgaben zu
erfüllen.

d) Der Senat stellt fest, dass die mit den Verfassungsbeschwerden
angegriffene Listenveröffentlichung den verfassungsrechtlichen
Maßstäben gerecht wird. Die in der Liste enthaltenen Äußerungen waren
zutreffend. Die Veröffentlichung stellt keine Beeinträchtigung der
Berufsfreiheit der Weinkellereien dar. Dies gilt auch für deren
namentliche Nennung.

Die Verbreitung der Liste zielte auf Krisenbewältigung, insbesondere
die Wiederherstellung des Vertrauens am überregionalen Weinmarkt. Die
Information über die Verletzung von Qualitätsanforderungen bei Weinen
bestimmter Lagen und Abfüller schuf Markttransparenz. Sie befähigte die
Anbieter und Nachfrager auf dem Weinmarkt dazu, mit der unerwünschten,
möglicherweise sogar gefährlichen, Situation in informierter und damit
eigenbestimmter Weise umzugehen. Der Inhalt der Liste lief hinsichtlich
der DEG-haltigen Weine auf eine Warnung der Verbraucher hinaus,
hinsichtlich anderer Weine auf Entwarnung. Den Marktteilnehmern blieb
es überlassen, wie sie auf die Informationen reagierten.

Die Verbreitung der Information durch die Bundesregierung hinderte die
Bundesländer nicht, ihrerseits Informationen zu verbreiten oder
administrative Maßnahmen der Gefahrenabwehr zu ergreifen.


Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1BvR 558/91 -
und - 1 BvR 1428/91 -

 



 

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