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AHO Aktuell - 14.05.2002

Zehn populäre Mythen über die grüne Gentechnik


(idw) - Die meisten Vorstellungen von Politikern und Wirtschaftsvertretern in
Bezug auf die Einstellung der Bevölkerung gegenüber der Gentechnik sind
falsch. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der Akademie für
Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg (TA-Akademie) und vier
weiteren Forschungsteams in Italien, Frankreich, Spanien und
Großbritannien, die im Auftrag der EU durchgeführt wurde und am 13. Mai
im Internet veröffentlicht wird.

Mit Hilfe von Interviews und teilnehmenden Beobachtungen von
Entscheidungsträgern der Gentechnik-Industrie erarbeiteten die
Forschungsteams eine Liste von insgesamt zehn populären Vorstellungen
über die Einstellung zur Gentechnik in der Bevölkerung. Im Einzelnen
sind dies:

- Das Hauptproblem ist, dass Laien das notwendige Fachwissen fehlt.
- Man ist entweder für oder gegen die Gentechnik.
- Die Verbraucher akzeptieren die Gentechnik in der Medizin, lehnen sie
in der Nahrungsmittelindustrie und in der Landwirtschaft aber ab.
- Konsumenten in Europa verhalten sich egoistisch gegenüber den Armen in
der Dritten Welt.
- Konsumenten wünschen eine Kennzeichnung, um ihr Recht auf freie
Auswahl auszuüben.
- Die Öffentlichkeit denkt fälschlicherweise, dass genetisch veränderte
Organismen unnatürlich sind.
- Die ganze Misere rührt von der BSE-Krise her: Seitdem vertrauen die
Konsumenten nicht mehr den für die Regulierung zuständigen Institutionen.
- Die Öffentlichkeit fordert das Nullrisiko, was nicht realistisch sein
kann.
- Die öffentliche Ablehnung von Gentechnik liegt in anderen, ethischen
oder politischen Faktoren begründet.
- Die Öffentlichkeit ist ein leicht zu beeinflussendes Opfer angesichts
verzerrter und überzeichneter Darstellung in den Medien.
Anschließend überprüften sie diese Vorstellungen in insgesamt 55
moderierten Gruppendiskussionen mit zufällig ausgewählten Bürgern
(Fokusgruppen) auf ihren Wahrheitsgehalt. Dabei entpuppten sich die
meisten dieser Vorstellungen als Mythen.

Überraschenderweise kamen die Diskussionen in den 55 Fokusgruppen zu
ganz anderen Ergebnissen, die sich zwischen den Ländern nur unwesentlich
unterschieden. Danach stimmt es nicht, dass der Widerstand gegen
gentechnisch veränderte Pflanzen mit einer Mischung aus Ignoranz und
Risikoscheu in der europäischen Bevölkerung zu erklären ist, wie dies
ein Großteil der Entscheidungsträger offenbar annimmt. "Die Gegner der
Gentechnik sind sich sehr wohl darüber bewusst, dass das normale Leben
eine Fülle von Risiken in sich birgt, die gegeneinander abgewogen werden
müssen", so Prof. Ortwin Renn, Leitender Direktor der TA-Akademie, die
den deutschen Part des Projektes Public Perception of Agricultural
Biotechnologies in Europe (PABE) übernommen hat. Den allermeisten sei
klar, dass die Wissenschaft niemals alle Folgen einer neuen Technologie
vorhersehen könne. Allerdings sei die Mehrheit der Befragten der
Meinung, dass Risiken, die wissenschaftlich noch nicht genau erfasst
sind, von den Behörden zur Risikoregulierung im politischen Prozess
berücksichtigt werden sollten. "Die Wurzel des Konflikts liegt nicht in
der Technologie an sich, sondern in der Art und Weise, wie die Behörden
mit ihr umgehen", so Ortwin Renn. Entscheider sollten deshalb eher die
sozialen Vorteile der neuen Technologie in den Vordergrund stellen und
dem Dialog mit der Öffentlichkeit über die Ausrichtung der
wissenschaftlichen Forschung breiteren Raum geben, anstatt den
Widerspruch zwischen Marktchancen und öffentlicher Irrationalität zu
betonen, empfiehlt Renn. "Um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu
gewinnen, müssen die Behörden über einen längeren Zeitraum beweisen,
dass sie frühere Fehler zugeben können und die Art und Weise, wie
Entscheidungen gefällt werden ebenso offen legen, wie auch die
Gewichtung der widerstreitenden Interessen, Risiken und Chancen", so
Renn. "Institutionen genießen nur dann Vertrauen, wenn sie zeigen, dass
sie die Meinung der Öffentlichkeit verstehen, respektieren und zu Rate
ziehen".

Das zeigen auch andere Studien der TA-Akademie, nach denen in
Deutschland nur ganze 15,6 Prozent der Bürger glauben, dass ihre
Befürchtungen und Ängste beim Thema Genfood von den Politikern ernst
genommen werden. Gar nur 14 Prozent der Befragten glauben, dass sie von
den verantwortlichen Politikern wirksam vor den durch gentechnisch
veränderten Lebensmitteln entstehenden Risiken geschützt werden. Bei den
Vertretern der Industrie sind die Werte sogar noch schlechter: Nur elf
Prozent der Bürger nehmen ihnen ab, dass sie neben ihren
wirtschaftlichen Interessen auch die Anliegen der Öffentlichkeit ernst
nehmen, beim Thema BSE waren es immerhin noch 22 Prozent der Bürger.
In einer weiteren Studie zeigte sich, dass sich die Bürger vor allem an
einer mangelnden Beteiligung an Entscheidungen stören. 90 Prozent der
Befragten waren danach sogar bereit, an einem Volksentscheid über den
Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft teilzunehmen, 65 Prozent
würden für ein Mediationsverfahren zu diesem Thema sogar Freizeit
opfern.

Ansprechpartner:
Prof. Ortwin Renn, Tel. 0711/9063-160
E-Mail: ortwin.renn@ta-akademie.de

Markus Geckeler, Tel. 0711/9063-222
E-Mail: markus.geckeler@ta-akademie.de

Informationsdienst Wissenschaft (idw) - Pressemitteilung
Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, 14.05.2002
 



 

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