Aktuelle Meldungen  -  Nachrichten suchen  -  kostenloses Abo  -   Nachricht weiterempfehlen

 

AHO Aktuell - 02.05.2002

Offener Leserbrief: "Die schlimme Qual der Schweine"


Von
Prof. Dr. M. Wähner
Hochschule Anhalt (FH)
FB Landwirtschaft, Ökotrophologie und Landespflege
Strenzfelder Allee 28
06406 Bernburg


An
Redaktion "Die Welt am Sonntag"
An den Chefredakteur
Axel - Springer - Straße 65
10888 Berlin

Bernburg am 30.04.2002

Beitrag "Die schlimme Qual der Schweine" vom 28.04.2002 von Freia Peters

Sehr geehrter Herr Chefredakteur,

der o.g. Beitrag in der "Welt am Sonntag" hat mich auf das tiefste
schockiert, weil ich hier eine äußerst grobe Verletzung des sachliche
Journalismus vorfinde. Sie begeben sich auf die unterste Ebene der
Sensationspresse, mit dem Ziel, den unbedarften Leser bewußt ein falsches
Bild von der deutschen Landwirtschaft, speziell der Tierproduktion vorzuhalten.
Die Verfasserin dieses Artikels hat offenbar keine Ahnung von einer
ordnungsgemäßen Recherche oder, und das wäre noch viel schlimmer, hat die
Ergebnisse ihrer Analyse wissentlich verschwiegen und schlichtweg Unwahrheiten
zu Papier gebracht. Es wird ein Vokabular verwendet, was bewusst provozierend
und sensationsorientiert ist. Negativ besetzte Worte wie "Stahlrohrkäfig",
"eiserne Jungfrau", "gesetzloser Raum", "Verhaltensstörung" stehen dafür.

Für falsche Aussagen lassen sich viele Beispiele anführen:

1. Sauen stehen nicht bis zur Geburt in einem "Stahlrohrkäfig". Bekanntlich
sind sie nur bis etwa zum 30. Tag nach der Befruchtung in einem Einzelstand
untergebracht (EU-Richtlinie 2001/88/EG) und das hat auch seine wohl durchdachte
Begründung, weil bis etwa zum 21. Tag die Einbettung der Embryonen in die
Gebärmutter erfolgt. In dieser sensiblen Zeit lassen eventuelle Rangeleien von
Gruppennachbarinnen die embryonale Absterberate signifikant ansteigen. Insofern
ist diese zeitlich begrenzte Haltungsform praktizierter Tierschutz. In der Zeit
ab dem 30. Trächtigkeitstag bis zur Einstallung in den Abferkelstall werden die
Sauen in Gruppen gehalten.

2. Die Trächtigkeitsdauer von Sauen beträgt nicht 110 sondern 115 Tage. Um die
Tiere auf die Geburt vorzubereiten werden sie etwa 5 Tage vorher in den
Abferkelstall gebracht.

3. Selbstverständlich ist es so, dass männliche Ferkel kastriert werden, weil
bekanntlich Fleisch von geschlechtsreifen männlichen Tieren sehr stark im
Geschmack beeinträchtigt werden kann. Die Kastration erfolgt aber nicht erst
in der 3. Woche, sondern, und hier ist wieder die oberflächliche Recherche
der Autorin zu lesen, in der ersten Lebenswoche. Jedenfalls in den größeren
Betrieben Ostdeutschlands ist das so. Das Kastrieren führt auch kein "Mast-
Angestellter" durch sondern Mitarbeiter der Betriebe. Bekanntlich ist die
Kastration von Ferkeln Bestandteil der Berufsausbildung junger Tierpfleger.
Interessant ist aber die indirekte Behauptung der Verfasserin, dass besonders
bei den Deutschen dieser Ebergeruch nicht erwünscht ist. Sie sollten wissen,
dass die Geschmackspapillen von anderen Europäern in gleicher Art und Weise
ausgebildet sind wie bei uns Deutschen. Sie hätten aber bei einer richtigen
Recherche wissen können, dass in manchen anderen Ländern die Mastschweine
sehr viel früher geschlachtet werden als bei uns, nämlich zu einem Zeitpunkt
wo sie noch nicht geschlechtsreif sind. Andernfalls werden in anderen Ländern
die männlichen Mastferkel auch kastriert, genauso wie bei uns.

4. Das Absperren der neugeborenen Ferkel von ihrer Mutter dient wiederum dem
Tierschutz. Damit werden Erdrückungsverluste reduziert in Größenordnungen,
die ein echtes Tierschutzproblem darstellen würden. Sicher ist der Tod von
Tieren, auch durch Erdrückung, "natürlich", jedoch wenn ich als Tierhalter
dieses Problem wissentlich negiere mache ich mich der fehlender Hilfeleistung
schuldig. Hier greift die Unterlassungsethik, und das gilt auch beim Tierschutz.

5. Schweine haben keine Hufe, sondern Klauen. Pferde besitzen Hufe.

6. Es ist schlichtweg eine maßlose Behauptung, dass Mastschweine in den letzten
Tagen der Mast aus Platzgründen nur noch "auf ihren Hinterbacken mit
geschlossenen Augen bewegungslos hocken". Als Mitglied des Tierschutzbeirates
des Landes Sachsen - Anhalt empört mich das derart, dass ich die Kompetenz der
Frau Peters für einen seriösen Journalismus abspreche. Es sind bekanntlich nach
der o.g. EU-Richtlinie die Platzverhältnisse exakt vorgeschrieben. Demnach liegt
das Platzangebot für ein 85 bis 110 kg schweres Tier bei 0,65 m2 und für ein
über 110 kg schweres Mastschwein bei 1 m2. Damit sind absolut ausreichende
Platzverhältnisse gegeben, zumal Schweine als sozial lebende Tiere sich meist
mit Hautkontakt zum Nachbarn hinlegen und damit den Platz nicht voll
beanspruchen. Hier fehlt wieder Sachkenntnis.

7. Absoluter Unfug ist, dass Ferkel permanent mit Antibiotika gefüttert werden.
In Deutschland sind derzeit noch vier Antibiotika als Leistungsförderer erlaubt
(Salinomycin, Flavomycin, Avilamycin und Monensin). In der Mast sind diese
Substanzen bis maximal 6. Lebensmonat einsetzbar. Bereits heute setzen aber die
meisten schweinehaltenden Betriebe von Anbeginn an keine Antibiotika mehr ein.
Ich finde es als eine ungeheure Sachlage, wenn Bürger, die sich auf gesetzlicher
Grundlage bewegen von vornherein kriminalisiert und in eine Ecke von Verbrechern
gestellt werden. Bereits vor fast 200 Jahren hat schon Daniel Albrecht Thaer
einen Grundsatz der Landwirtschaft formuliert, der nach wie vor gilt, dass nicht
die möglichst höchste Produktion, sondern der höchste Gewinn nach Abzug aller
Kosten Zweck der Landwirtschaft ist. Hierüber sollten Autoren einmal tiefer
nachdenken.

8. Die Beschreibung der Tiertransporte zeichnet dem unbedarften Leser ein
Horrorbild. Nach der in Deutschland gültigen Verordnung dürfen Tiere maximal
8 Stunden transportiert werden, wobei entsprechende Platzverhältnisse zu
gewährleisten sind. Sie sollten wissen, dass gerade auf diesem tierschutz-
relevanten Sektor die Kontrollen außerordentlich häufig und sehr penibel
durchgeführt werden.

Herr Chefredakteur, es ließen sich noch weitere Beispiele anführen. Mein
Anliegen ist es, mich in die Diskussion um Tierschutz und Tierproduktion
sachlich einzubringen. Dieser Problemkreis ist sicher zu sensibel, als
dass hier durch nicht ordnungsgemäße Erhebungen und Nachforschungen
Falschmeldungen publiziert werden, die dem Leser die Landwirtshaft in
unserem Land falsch vor Augen führen. Auf der Grundlage seriöser
wissenschaftlicher Untersuchungen zur Physiologie und zur Ethologie der
landwirtschaftlichen Nutztiere aber auch zur Ökonomie werden auch weiterhin
Haltungsverfahren entwickelt werden, die eine solide moderne Tierproduktion
ermöglichen. Gerade dieses Feld ist ein Beispiel dafür, dass Zoologen,
Landwirte, Tierärzte, Ökonomen, Verhaltensforscher, Fachleute der Tier- und
Humanernährung, Praktiker und Wissenschaftler, wie auch Ethiker zusammen-
arbeiten um Rahmenbedingungen und praktische Voraussetzungen für eine
Tierhaltung und eine Tierproduktion zu entwickeln, die dem in Deutschland
und Europa typischen Verhältnis zwischen dem Mitgeschöpf Tier und uns
Menschen gerecht wird. Diesem Anliegen zu entsprechen kann es nur so sein,
dass auch weiterhin Tierproduktion in unserem Landes praktiziert wird. Der
von Frau Freia Peters verfasste Artikel "Die schlimme Qual der Schweine"
dient diesem so wichtigen Anliegen, auch weiterhin nach deutschen
Vorschriften Nahrungsmittel zu produzieren nicht.

Mit freundlichen Grüßen


Prof. Dr. Martin Wähner
Hochschule Anhalt (FH)
FB Landwirtschaft, Ökotrophologie und Landespflege
Strenzfelder Allee 28
06406 Bernburg
 



 

  zum Seitenbeginn


© Copyright

AHO Aktuell ist ein Service von ANIMAL-HEALTH-ONLINE und @grar.de