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AHO Aktuell - 29.04.2002

Kritik der ISN an der Welt am Sonntag "Die schlimme Qual der Schweine"


Offener Brief von Detlef Breuer, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft
der Schweinehalter Nord-Westdeutschland e.V. (ISN) an den Chefredakteur
Dr. Thomas Garms der "Welt am Sonntag" zum Beitrag
"Die schlimme Qual der Schweine" von Freia Peters in der
Ausgabe vom 28.4.2002.


An
Welt am Sonntag
Herrn Chefredakteur Dr. Thomas Garms
Brieffach 2516
10888 Berlin



"Die Schlimme Qual der Schweine" von Freia Peters
Welt am Sonntag vom 28.04.02, Seite 16

Sehr geehrter Herr Dr. Garms,

die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Nordwestdeutschland e.V. (ISN)
vertritt die Interessen von über 11.000 Schweinehaltern. Unsere Mitglieder
produzieren in Ihren spezialisierten Betrieben nach den Grundsätzen der
guten fachlichen Praxis auf Basis der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Wir
möchten Ihnen unser Entsetzten über ihren reißerischen Artikel, der von
Unwahrheiten nur so strotzt, zum Ausdruck bringen und möchten zu einigen
dieser Falschangaben und Behauptungen Stellung nehmen. Die Richtigstellung
aller Aussagen würde den Rahmen eines Briefes schlichtweg sprengen. Deshalb
beschränken wir uns auf einige wesentliche Punkte.

Sie werfen "den deutschen Mastbetrieben schwer wiegende Mängel vor." Schweine
seien nach wenigen Wochen "hochgradig verhaltensgestört". Wie paßt das
eigentlich mit dem aktuellen Tierschutzbericht des Verbraucherschutzminis-
teriums zusammen? Frau Künast steht der konventionellen Landwirtschaft
bekanntermaßen sehr kritisch gegenüber. Der von der Verbraucherministerin
erstellte Tierschutzbericht 2001 kommt zu dem Ergebnis, daß 88 % aller
Schweinehaltungen keinerlei Mängel aufweisen! Es gibt nichts zu beschönigen,
Tierhalter, die die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllen und das Tier
nicht respektieren, müssen dafür selbstverständlich zur Rechenschaft gezogen
werden.

Frau Freia Peters schreibt, Schweine würden in der Mast mit "Tiermehl"
gefüttert. Der Einsatz von Tiermehl ist bereits seit über einem Jahr verboten
und es wird auch kein Tiermehl mehr verfüttert.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht außer Kraft gesetzt worden
"weil es so bescheiden" war, sondern weil das Zitiergebot, d.h. eine
juristische Formalie verletzt wurde. Seit 1999 ist im Zuge der Außerkraft-
setzung der Hennenhaltungsverordnung auch, allerdings nicht aus inhaltlichen,
sondern nur aus formalen Gründen, die deutsche Schweinehaltungsverordnung
für nichtig erklärt worden.

D.h. zur Zeit gibt es in diesem Bereich kein regelndes Bundesrecht. In einem
solchen Fall dürfen die Bundesländer regelnd eingreifen, müssen dies aber
nicht tun. Infolgedessen lassen sich die Bundesländer z. Z. grob in drei
Gruppen einteilen:

· Bundesländer, welche keinerlei Regelung getroffen haben. Dort kann z.B.
für Baugenehmigungen auf der europäische Richtlinie zur Schweinehaltung
(91/630/EWG) von 1991 gefußt werden.
· Bundesländer, welche per Erlass die materiellen Anforderungen der nichtigen
Schweinehaltungsverordnung als bindend erklärt haben.
· Bundesländer, welche per Erlass die materiellen Anforderungen der nichtigen
Schweinehaltungsverordnung als bindend erklärt haben, und außerdem zusätzliche
zu erfüllende Maßnahmen definiert haben. Hier sind insbesondere die Länder
Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-
Vorpommern zu nennen.

Eine sorgfältige Recherche hätte Sie auf diesen Sachverhalt eigentlich
aufmerksam machen müssen!

Es stimmt nicht, daß sich die Schweinehalter im gesetzlosen Raum befinden. Die
Verabreichung von Arzneimitteln durch den Tierarzt ist in der Arzneimittel-
verordnung, die auch das tierärtzliche Dispensierrecht regelt, rechtlich
festgeschrieben. Baugenehmigungen werden unter zu Grunde Legung des Tier-
schutzgesetztes, des UVP/IVU-Artikelgesetzes, der TA-Luft, des Baugesetzbuches
und zahlreicher weiterer, z.T. länderspezifischer Vorschriften geregelt.
Selbstverständlich wird auch die Naturschutznovelle berücksichtigt. Kein
anderes Land der Welt ist durch eine derartige Fülle von Gesetzen,
Verordnungen und Erlassen reglementiert und kontrolliert wie Deutschland.

Der Ferkelschutzkorb, den Ihre Redakteurin als "eiserne Jungfrau" - woher
dieser Begriff auch immer stammen mag - bezeichnet, schützt die neugeborenen
Ferkel davor, nach der Geburt von der Sau getreten oder verletzt zu werden,
was in der freien Natur leider sehr häufig zum Tode der Ferkel führt. In den
vergangenen Jahren sind die Haltungsbedingungen der Tiere in der Landwirt-
schaft kontinuierlich verbessert worden. Im Tierschutz ist Deutschland - auch
ohne Verfassungsrang - führend.

Sie schreiben, daß Tiere per "Lastwagen in oft hunderte Kilometer entfernte
Schlachthöfe gefahren" werden, "sie müßten stunden- oft sogar tagelang auf
engstem Raum stehen- ohne Futter." Diese Behauptungen stehen in krassem
Gegensatz zu den gesetzlichen Bestimmungen und der Realität. Die Transportdauer
ist bei Schweinen auf acht Stunden begrenzt. Die transportdauer hat die
EU-Kommission in der Verordnung (EG) Nr. 615/98geregelt.

Erstaunlich ist, daß in Ihrem Bericht nur Kritiker namentlich genannt werden,
die aus eben dieser Kritik ihren Broterwerb gemacht haben. Bis auf einen
sicherlich der redaktionellen Freiheit entsprungenen Pseudo-Schweinehalter
kommt kein Landwirt zu Wort. Müssen wir vermuten, daß Ihr Artikel unter dem
Deckmantel der journalistischen Neutralität für die Durchsetzung politisch-
ideologischer Interessen gebraucht wird?

Die Passagen Ihres Artikel, die sich mit der Fütterung beschäftigen, muten
mehr als abenteuerlich an und verdrehen die Tatsachen. Zunächst einmal sollte
man bedenken, dass Tiere ausgewogen ernährt werden müssen und eiweißhaltige
Futterkomponenten benötigen.

Dieser Eiweißbedarf wird in erheblichem Umfang über Sojaschrot gedeckt.
Tatsache ist, dass rund 68% der Sojabohnen, die in den USA und 94% der
Sojabohnen, die in Argentinien angebaut werden, von gentechnisch veränderten
Pflanzen stammen. Allein in Brasilien ist der Anbau gentechnisch veränderten
Sojas derzeit offiziell nicht erlaubt. Es gelangt jedoch aus Argentinien
Saatgut nach Brasilien. Damit sei es praktisch unmöglich, eine hunder-
tprozentige Gentechnikfreiheit zu garantieren. Wer dies tut, betreibt
Augenwischerei und keine ehrliche Verbraucheraufklärung. Darüber hinaus ist
es unmöglich, die in Europa benötigten Sojamengen ausschließlich von Flächen
zu beziehen, auf denen keine gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut werden.
Alle Bemühungen der vergangenen Jahre, die in Europa bestehende "Eiweißlücke"
bei Futtermitteln über andere Nutzpflanzen zu decken, sind fehlgeschlagen. Was
die Ernährung der Tiere angeht, haben alle bisher durchgeführten Studien zum
Einsatz von Futtermitteln aus gentechnisch veränderten Pflanzen ergeben, dass
es keine Unterschiede zu konventionellen Futtermitteln gibt. Dies betrifft
sowohl die Inhaltsstoffe und den Nährwert der Futtermittel als auch die
Leistung und die Gesundheit der Tiere sowie die Qualität der tierischen
Lebensmittel. Demnach stellen sie kein Risiko für die Gesundheit von Mensch
und Tier dar. Gentechnisch veränderte Pflanzen, die in Europa auf den Markt
kommen, haben eine eingehende wissenschaftliche Überprüfung durchlaufen, ihre
Zulassung ist erst nach sorgfältiger Risikobewertung durch die zuständigen
Fachgremien auf gesetzlicher Basis erfolgt. Dadurch, daß Sie in diesem
Zusammenhang auch noch über "gesundheitsfördernde Zusatzstoffe" womit Sie
Antibiotika meinen, berichten, decken Sie alle gängigen Vorurteile ab. Warum
berichten Sie nicht einmal über unsere Initiative "Homöopathie mit voller
Kraft voraus in den Schweinestall?" Hier erforscht die Karl-und-Veronica-
Cartsens-Stiftung, in welcher Form homoöpathische, naturheilkundliche Methoden
in größeren Schweinebeständen mit Fremd-Arbeitskräften erfolgreich anwendbar
sind.

Die einzige Aussage Ihres Artikels, die der Realität entspricht, ist, daß Frau
Künast die Richtlinien verschärfen will und das sie nicht sagt wann. Wir haben
diesen Meinungsbildungsprozeß kritisch begleitet und werden dies auch weiterhin
machen. Auch aus dem Bundeskanzleramt kommt zum wiederholten Mal keine
eindeutige Aussage zur Schweinehaltungsverordnung.

Jede noch so kleine Abweichung von den Vorgaben der EU-Richtlinie wird den
Verlust von zahlreichen Arbeitsplätzen bedeuten. In Anbetracht Rezession und
angesichts von über 4 Millionen arbeitslosen Menschen in Deutschland ist es
nicht nachvollziehbar, daß investitionswillige Betriebe keine Planungs- und
Rechtssicherheit erhalten. In der Wertschöpfungskette Schweinefleisch arbeiten
in Deutschland vom Landwirt über Tierarzt bis zum
Lebensmitteleinzelhandel über 500.000 Menschen.

Die Schweinehaltung in Deutschland hat einen weltweit einzigartig hohen,
beispielhaften Standard. Nirgendwo sonst in Europa werden die schweinehaltenden
Betriebe so oft kontrolliert und bei Verstößen gegen Tierschutzbestimmungen zur
Rechenschaft gezogen. Im Interesse der Tiere muß der hohe deutsche Standard
auch für die anderen EU-Staaten gelten. Tierschutz ist nicht teilbar. Eine rein
nationale Verschärfung der Tierschutzbestimmungen hätte fatale Auswirkungen für
den Tierschutz. Die Schweinehaltung würde ins Ausland abwandern, wo der
Tierschutz oft noch mit Füßen getreten wird. Einen solchen Schritt können nur
Agrarindustrielle vollziehen, nicht aber an ihr Land gebundene Landwirte. Die
deutschen Schweineproduzenten können noch 86 Prozent des inländischen Bedarfes
decken.

Für die schlechtere Wettbewerbsstellung der deutschen Produzenten sind dabei
neben einer immer noch ungünstigen Produktionsstruktur mit im europäischen
Vergleich geringen Bestandsdichten auch Wettbewerbsnachteile aufgrund stärkerer
administrativer Einschränkungen, wie beispielsweise eine restriktive
Baugenehmigungspraxis, verantwortlich.

Wir sind von Ihrer Art der Berichterstattung tief enttäuscht, wie es uns auch
die spontanen Reaktionen unserer Mitglieder in unserer Geschäftsstelle gezeigt
haben.

Die deutschen Schweinehalter stehen zu Ihrer Verantwortung - für ihre Familien
und ihre Tiere.

Wir verbleiben in der Erwartung der Richtigstellung des Sachverhaltes in der
nächsten Welt am Sonntag

mit freundlichem Gruß

Interessengemeinschaft der Schweinehalter
Nord-Westdeutschland e.V. (ISN)
Detlef Breuer, Geschäftsführer
Gartenstr. 1, 49401 Damme
Tel. 05491-9665-0

Damme, den 29. April 2002
 



 

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