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AHO Aktuell - 29.04.2002

Sensationsjournalismus: "Die schlimme Qual der Schweine"


Offener Leserbrief von Prof. Dr. Steffen Hoy, Gießen an den Chefredakteur
der Zeitung "Die Welt" zum Beitrag
"Die schlimme Qual der Schweine" von Freia Peters
in der "Welt am Sonntag" vom 28.4.2002.


Sehr geehrter Herr Chefredakteur,

ich bin empört über diesen Sensationsjournalismus von Freia Peters, den
ich in Ihrer Zeitung nicht vermutet hätte. Dies beginnt bereits mit dem
Titel und endet in vielen schlichtweg falsch recherchierten Fakten. Dazu
nur einige Beispiele:

Unterschrift zu Bild 1: von der Befruchtung bis zur Geburt stehen die
Sauen 110 Tage lang in einem Stahlrohrkäfig... Anm.: Die Trächtigkeit
beim Schwein dauert im Mittel 115 Tage. Der Begriff "Stahlrohrkäfig"
(bewußt reißerisch und negativ belegt) impliziert eine "schlimme
Haltungsform". Zu den Fakten: etwa zwei Drittel der Betriebe halten die
Sauen heutzutage noch einzeln, aber - unabhängig wann die "neue deutsche
Schweinehaltungsverordnung" in Kraft treten wird - die EU-Richtlinie
2001/88/EG wird in jedem Fall diesbezüglich in deutsches Recht umgesetzt
werden und dann werden alle Sauen (mit nur sehr wenigen, begründeten
Ausnahmen) vom 29. Tag der Trächtigkeit bis eine Woche vor der
Abferkelung in Gruppen gehalten werden - für den Stallneu- und Umbau
bereits ab nächstem Jahr, für alle Ställe ab 2013. Das verschweigt die
Autorin!! Die Haltung der Sauen im Ferkelschutzkorb (aus Stahlrohr) für
3 bis 4 Wochen ist sehr wohl begründet. Alle seriösen Untersuchungen mit
Freilaufbuchten der letzten Jahre in Deutschland haben nämlich gezeigt,
dass bei dieser Form der Haltung 2 % mehr Ferkelverluste auftreten. 2
Prozent mehr Ferkelverluste bedeuten aber auf ganz Deutschland bezogen
1 Millionen mehr tot getrampelte Ferkel (durch ihre eigene Mutter!).
Insofern ist es durchaus vertretbar, die Sauen für diese kurze Zeit zu
fixieren, um Ferkelleben zu retten. Ferkel haben nämlich auch ein Recht
auf Tierschutz!! Im übrigen wird daran geforscht, Lösungen zu finden,
die mehr Bewegung für die Muttersau schaffen (das Problem ist also sehr
wohl bekannt!). Aber eine derartige Lösung muß auch im Praxisalltag
funktionieren und nicht nur in Forschungsstationen.
Es stimmt nicht, dass wir uns in Deutschland in einem gesetzlosen Raum
bezüglich der Schweinehaltung befinden - das ist einfach schlampig
recherchiert. Es gibt in 4 Bundesländern Erlasse o.ä., die die
Anforderungen regeln und die gerade deshalb erlassen wurden, um keinen
rechtsfreien Raum zuzulassen. In anderen Bundesländern wird sinngemäß
verfahren. Im übrigen sind im Bemühen, den Tierschutz voranzubringen,
z.T. abstruse und wettbewerbsverzerrende Passagen in einige dieser
Erlasse geraten.

Den Begriff "eiserne Jungfrau" (offensichtlich auch eine bewußte Wortwahl,
um ein Zerrbild zu vermitteln) kennt in der Landwirtschaft niemand.
Die Bildunterschriften unter Bild 2 ("auf denen ihre Hufe nur schwer Halt
finden" - Schweine haben keine Hufe, Aussage ist Quatsch), Bild 3 ("Wasser
und Antibiotika nehmen die Tiere über Trinkschläuche auf" - absoluter
Blödsinn: Trinkschläuche würden nach kurzer Zeit abgekaut sein; die
Unterstellung, dass Mastschweine generell mit Antibiotika "gefüttert"
werden, ist haarsträubend - es liegen Analysen aus Schleswig-Holstein und
Hessen vor, die eindeutig belegen, dass Mastbetriebe grundsätzlich keine
Antibiotika routinemäßig und durchgängig einsetzen und ein bestimmter
Teil der Betriebe das zur Zeit im Laufe nur der ersten Masttage noch tun
muß, um schwere Erkrankungen und Todesfälle zu verhindern - exakte
Zahlen dazu können jederzeit geliefert werden)

Bild 4 ("Die Gelenke können das Tier nicht mehr tragen.....auch der
Spaltenboden macht das Stehen jetzt unmöglich" - da hätte die
Journalistin mal die Schlachtbetriebe fragen müssen, wie die denn die 40
Mio Schlachtschweine vom Stall zur Schlachtung bringen, wenn diese alle
nicht mehr laufen können !!!) und Bild 5 ("Die Tiere sind oft tagelang
ohne Nahrung und Wasser unterwegs" - solch eine Unterstellung ist
unglaublich - es gibt in Deutschland eine Tierschutztransportverordnung,
die den Transport regelt und die überwacht wird. Diese Aussage ist nicht
einmal nur eine Verunglimpfung der Landwirte, sondern vor allem der
Schlachtbetriebe, die die Transporte durchführen. Meint die Autorin
allen Ernstes, dass die Schlachtbetriebe "ihren Rohstoff Schwein" in
einer derartigen Weise behandeln würden, dass es zu massiven Schäden
käme?) sind derart realitätsfern und bösartig, dass es einem fast die
Sprache verschlägt. Die Liste der weiteren Falschaussagen der Autorin
könnte fortgesetzt werden.

Sehr geehrter Herr Chefredakteur, ich bin sehr für eine kritische
Diskussion über Fragen der Tierhaltung, aber diese Diskussion muß stets
sachlich bleiben. Durch falsche Tatsachen und Halbwahrheiten angeheizte
Stimmungsmache hilft den Landwirten nicht, Probleme zu lösen. Im übrigen
sind diese "Probleme" nicht auf deutsche Ställe beschränkt, sondern
betreffen alle Länder mit entwickelter Schweinehaltung. Im Rahmen der EU
gibt es bereits viele Reglementierungen, die weit über das hinaus gehen,
was amerikanische, kanadische, chinesische oder brasilianische
Schweineproduzenten zu beachten haben. Die Verbesserung des Tierschutzes
ist nicht nur ein Anliegen der dafür vermeintlich Berufenen (z.B. der
Tierschutzorganisationen), sondern wird von Wissenschaftlern,
Landwirten, Beratern und Behörden genau so betrieben (z.T. unterstützt
mit mehr Sachkompetenz bezüglich ethologischer oder hygienischer
Herangehensweise). Ich schlage vor, dass Sie sich dieses sensiblen
Themas "Tierhaltung im Spannungsfeld zwischen Tierschutz, Umweltschutz,
Tierhygiene, Tierverhalten und Betriebswirtschaft - national und
international" auch weiterhin annehmen, aber fordere Sie dringend dabei
auf, die entsprechende Sachlichkeit walten zu lassen.

Mit freundlichen Grüssen

gez.

Prof. Dr. Steffen Hoy

Professur Tierhaltung und Haltungsbiologie
Bismarckstr. 16
D-35390 Gießen
Tel. 0641 99 37622/37623
Fax 0641 99 37639
Email: Steffen.Hoy@agrar.uni-giessen.de
 



 

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