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AHO Aktuell - 20.02.2002

BgVV: Fluorchinolone nur im Notfall einsetzen


Berlin (bgvv) - Die Problematik der Fluorchinolon-Resistenz bei Bakterien
vom Menschen und vom Tier stand im Mittelpunkt einer Expertenanhörung, zu
der das BgVV Vertreter aus der Human- und Veterinärmedizin, aus Bundes-
behörden, Wissenschaft und Industrie nach Berlin geladen hatte. Ziel der
Anhörung war es zu klären, ob aufgrund der beobachteten Zunahme der
Resistenz verschiedener Mikroorganismen gegen Fluorchinolone neue
Risikomanagement-Maßnahmen getroffen werden müssen. Die Experten waren
sich einig, dass nur eine Reduktion des Einsatzes von Fluorchinolonen
auf das therapeutisch notwendige Maß einer weiteren Zunahme der
Resistenzen entgegenwirken kann. Bei Tieren sollen diese Antibiotika nur
eingesetzt werden, wenn keine Alternativen zur Verfügung stehen. Die
bereits bestehende Dokumentationspflicht der Tierärzte soll dahingehend
erweitert und entsprechende Leitlinien sollen über das
Tierarzneimittel-Neuordnungsgesetz rechtlich verankert werden. Der
Humanmediziner und Infektiologe Prof. Dr. Dieter Adam sprach sich dafür
aus, den Einsatz von Antibiotika über den Preis einzuschränken.
"Preiswerte Nachahmerpräparate", so Adam, "verleiten dazu, unnötig viel
Antibiotika einzusetzen". Die pharmazeutischen Hersteller forderte er
auf, ihrer Verantwortung für die Gesundheit der Verbraucher gerecht zu
werden und vorerst keine Zulassung von humanmedizinisch bedeutsamen
Substanzklassen (wie z.B. Oxazolidone und Streptogramine) für die
Tiermedizin zu beantragen.

Das erste Fluorchinolon wurde in Deutschland 1983 für den Einsatz in der
Humanmedizin zugelassen. Heute wird die Substanzgruppe vorwiegend zur
Behandlung von Harnwegsinfektionen, Atemwegs- und sexuell übertragbaren
Erkrankungen angewendet. Fluorchinolone gelten in der Humanmedizin als
Reserveantibiotika, wenn Keime gegen andere Substanzen resistent sind.
In der Tiermedizin werden Fluorchinolone in Deutschland seit Ende der
80er Jahre eingesetzt und zwar beim Einzeltier und im Bestand zur
Behandlung von Atemwegserkrankungen sowie Erkrankungen des Magen- und
Darmtraktes. Sie dürfen nur therapeutisch angewendet werden und nur
dann, wenn die Erreger gegen andere Substanzen resistent sind. In der
Tiermedizin sind sie weder zum prophylaktischen Einsatz noch zum Einsatz
bei Bagatellinfektionen zugelassen. Kritisch im Hinblick auf die
Ausbildung von Resistenzen sehen Experten insbesondere die
Bestandsbehandlung von Geflügel über das Trinkwasser, weil auch nicht
erkrankte Tiere behandelt werden, Unterdosierungen wahrscheinlich sind
und die Substanzen häufig zu lange angewendet werden. Geflügelexperten
halten den Einsatz allerdings für unverzichtbar.

Fluorchinolone machen heute rund 1% der beim Tier eingesetzten
antibiotischen Substanzen aus. In Europa und den USA wurden 1997 etwa 50
Tonnen zum Einsatz in der Tiermedizin verkauft. Hinzu kommen rund 70
Tonnen Generika (preiswerte Nachahmerpräparate) und weitere ca. 470
Tonnen Fluorchinolone, die in China produziert werden. Im gleichen
Zeitraum wurden zum Einsatz in der Humanmedizin in Europa und den USA
rund 800 Tonnen Fluorchinolone verkauft und weitere 1.350 Tonnen der
Stoffgruppe in China produziert.

Seit etwa zehn Jahren wird ein Anstieg der Resistenzen gegenüber
Fluorchinolonen beobachtet. Zu den fluorchinolon-resistenten Keimen
gehören u.a. bestimmte Salmonellen- und Campylobacter-Stämme. Diese
Keime sind bei Tieren weit verbreitet, gehen hier aber selten mit
Erkrankungen einher. Werden sie auf den Menschen übertragen, können sie
unterschiedlich schwere Magen-Darminfektionen hervorrufen. Wenn es sich
dabei um fluorchinolon-resistente Keime handelt, bleiben therapeutisch
eingesetzte Fluorchinolone wirkungslos. Obwohl viele der durch
Salmonellen oder Campylobacter hervorgerufenen Erkrankungen eher leicht
verlaufen, hängt der "Krankheitswert" der Resistenzentwicklung stark vom
Immunstatus des einzelnen Menschen ab. Im Einzelfall kann er dramatisch
sein und zum Tod führen. Neben anderen gilt der Lebensmittelpfad deshalb
als bedeutender Faktor bei der Ausbreitung von Resistenzen.

Als besonders kritische Lebensmittel wurden in den USA Geflügel und
Geflügelprodukte eingestuft. Die amerikanische Food and Drug
Administration (FDA) führte eine umfangreiche Risikobewertung durch und
kündigte an, ein Verbot des Einsatzes von Fluorchinolonen bei Geflügel
zu prüfen. Eine Anhörung des pharmazeutischen Unternehmers ist geplant.
Eine parallel in Auftrag gegebene Studie zur Wirksamkeit einer solchen
Risikomanagement-Maßnahme kam allerdings zu dem Ergebnis, dass mit einem
eher geringen Effekt zu rechnen sei, weil fluorchinolon-resistente Keime
nicht nur auf kontaminierten Lebensmitteln, sondern überall in der
Umwelt vorkommen. Als kritischen Interventionspunkt nennt die Studie
nicht den Einsatz der Fluorchinolone in der Geflügelproduktion, sondern
die Verbreitung resistenter Keime bei mangelhafter Hygiene in
Restaurants und Großküchen.

In den europäischen Ländern ist die Fluorchinolon-Resistenz
unterschiedlich stark ausgeprägt. Während sie in Dänemark bei Tier und
Mensch insgesamt niedrig ist, wurden im Vereinigten Königreich bei rund
70 % des Geflügels und 15-20 % der Menschen fluorchinolon-resistente
Campylobacter-Keime nachgewiesen. Für Deutschland wurden (teilweise auch
aus dem BgVV stammende) Zahlen von gut 40 % fluorchinolon-resistenter
Campylobacter-Keime für Geflügel/Geflügelprodukte und rund 40 % für den
Menschen genannt. Die Experten werteten dies als Hinweis auf eine
Korrelation zwischen dem Einsatz von Fluorchinolonen beim Geflügel und
der Resistenzentwicklung beim Menschen. Eine eindeutige Korrelation
lässt sich nach Meinung der Experten aus den derzeit vorliegenden Daten
aber nicht ableiten. Ein Verbot des Einsatzes von Fluorchinolonen bei
Geflügel lehnten sie vor diesem Hintergrund mehrheitlich ab. Sie
verwiesen auf das Risiko der zu befürchtenden stärkeren illegalen
Anwendung und des vermehrten Einsatzes anderer, weniger wirksamer
Antibiotika.

Weil die Resistenzausprägung eindeutig mit den eingesetzten Mengen
korreliert ist, empfehlen sie stattdessen die Reduzierung des Einsatzes
von Fluorchinolonen bei Menschen und Tieren. Beim Tier sollen
Fluorchinolone nur noch eingesetzt werden, wenn Alternativen
bewiesenermaßen nicht zur Verfügung stehen. Hier sehen die Experten die
Tierärzte in der Pflicht. Sie fordern eine grundsätzliche
Fortbildungsverpflichtung für Tierärzte und Humanmediziner und halten
gesetzlich verankerte Leitlinien für eine "Gute Veterinärmedizinische
Praxis" sowie effektive Kontrollen für unentbehrlich. Die Experten
appellieren an die pharmazeutischen Unternehmer, auf absehbare Zeit
keine tierarzneilichen Zulassungen für Substanzen zu beantragen, die in
der Humanmedizin Reservecharakter haben. Schließlich fordern die
Experten ein deutlich verbessertes Surveillance-System für die
Resistenzentwicklung in Deutschland und eine zentrale Dokumentation der
Verbrauchsmengen hergestellter und angewendeter antibiotisch wirksamer
Substanzen.

bgvv - Pressedienst, 04/2002, 20. Februar 2002
Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und
Veterinärmedizin
Thielallee 88 - 92, D - 14195 Berlin, Telefon: 01888/412-4300, Telefax:
01888/412-4970 Presserechtlich verantwortlich: Dr. Irene Lukassowitz
 



 

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