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AHO Aktuell - 23.12.2001

Fleisch und Darmkrebs: Mythos oder Realität?


Eine wissenschaftliche Stellungnahme zum Zusammenhang zwischen Fleischkonsum
und Darmkrebsrisiko

von Ulrike Gonder und Dr. Nicolai Worm

Bösartige Neubildungen des Dick- und Mastdarmes (Kolon und Rektum) stellen in
Deutschland bei beiden Geschlechtern die zweithäufigste Krebs-Todesursache
dar, allerdings mit sinkender Tendenz. Da die Therapiemöglichkeiten noch immer
beschränkt sind, wendet man sich zunehmend der Krebsprävention zu. Als
Risikofaktor wird unter anderem eine fett- und fleischreiche Ernährung
angesehen. Internationale Gremien empfehlen, den Fleischverzehr, insbesondere
den Verzehr von so genanntem "rotem Fleisch" (Rind, Schwein und Lamm) auf
weniger als 80 Gramm pro Tag zu reduzieren und durch Geflügel und Fisch zu
ersetzen.

Diese "Fleisch-Darmkrebs-Hypothese" kann sich auf einige, jedoch bei weitem
nicht alle epidemiologischen Studien stützen. Die bei einem Teil der Studien
gefundenen positiven Korrelationen lassen eine Assoziation, d.h. einen
statistischen Bezug zwischen der Messgröße "Fleischverzehr" und dem Ereignis
"Darmkrebs" darstellen. Daraus lässt sich jedoch grundsätzlich kein
ursächlicher Zusammenhang ableiten.

Ursächliche Zusammenhänge können nur mittels kontrollierter, randomisierter
Interventionsstudien - möglichst doppelt blind - überprüft und gegebenenfalls
belegt werden. Solche Studien sind bisher nicht durchgeführt worden, und sie
sind aufgrund methodischer Schwierigkeiten wohl auch nicht realisierbar -
Placebo-Fleisch ist kaum vorstellbar. Auch Vegetarier-Studien verfügen wegen
der großen Unterschiede in verschiedensten Lebensstilbereichen generell über
eine geringe Aussagekraft zu Effekten des Fleischkonsums.

In dieser Situation sind Dosis-Wirkungs-Beziehungen, plausible biologische
Erklärungsmechanismen für die postulierten Zusammenhänge sowie konsistente
Studienergebnisse besonders wichtig. Diese Minimalforderungen sind für die
"Fleisch-Darmkrebs-Hypothese" nicht erfüllt. Der Fleischverzehr sinkt in
vielen westlichen Industrieländern seit Jahrzehnten, während die Darmkrebs-
häufigkeit
stieg.

Selbst im europäischen Vergleich sind dort, wo das meiste Fleisch gegessen
wird, nicht die meisten Darmkrebstoten zu beklagen. Weder Fall-Kontroll-
Studien noch prospektive Studien ergaben ein einheitliches Bild. Von den
acht bisher (Stand 1998) durchgeführten prospektiven Studien (fünf davon
in USA) zu Fleisch-bzw. Fettverzehr und Darmkrebsrisiko konnten nur zwei
eine signifikante statistische Risikosteigerung feststellen. Alle anderen
Studien ergaben keinen Zusammenhang oder nicht signifikante Beziehungen.
Studien, die seither erschienen sind, haben dieses Bild nicht verändert.
Das individuelle Risiko für Dickdarmkrebs lässt sich also keinesfalls auf
den Fleischverzehr reduzieren.

Für die "Fleisch-Darmkrebs-Hypothese" findet sich weder die nötige Konsistenz
der Studienergebnisse, noch ein klares Dosis-Wirkungs-Prinzip. Nicht einmal
ein zweifelsfreier, plausibler Wirkmechanismus kann bis heute beschrieben
werden. So soll Fleisch über eine erhöhte Fettzufuhr das Darmkrebsrisiko
erhöhen. Fett fördert die Produktion von Gallensäuren, die die Darmschleimhaut
schädigen sollen. Allerdings unterscheidet sich die Gallensäure-Ausscheidung
von Patienten und Gesunden nicht. Zudem sank beispielsweise in Amerika die
Fettaufnahme von 42% in den sechziger Jahren auf etwa 36% im Jahr 1984,
während die Darmkrebshäufigkeit stieg, analoges gilt für Großbritannien und
Deutschland. Auch die Eisen-Hypothese, nach der eine fleischreiche Kost über
den hohen Eisengehalt das Wachstum von Tumoren fördert, ist nicht belegt. In
prospektiven Studien korrelierte das Darmkrebsrisiko nicht mit der Eisen-
aufnahme.

Aktuell ist derzeit die Zubereitungs-Hypothese: Beim Erhitzen von Lebens-
mitteln, so auch in Fleisch, entstehen potentiell schädliche Stoffe, wie
polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) und heterocyclische
Amine (HCA). Im Tierversuch konnte mit HCAs Darmkrebs erzeugt werden,
allerdings mit Mengen, die beim Verzehr von Lebensmitteln nicht erreicht
werden können. Zur Zeit lässt sich nicht sagen, dass HCA für den Menschen
ein großes Risiko darstellen. Ein Expertengremium des World Cancer Research
Fund urteilte, es gebe "keine überzeugenden Hinweise dafür, dass irgend eine
Zubereitungsmethode das Risiko für irgend eine Krebsart beeinflusst, noch
dafür, dass es irgend eine kausale Beziehung gibt".

Auch so genannte Nitrosamine, die in der Nahrung und im Körper entstehen
können, sind potente Krebserreger. Ein stark erhöhter Fleischverzehr kann
den Nitrosamingehalt der Ausscheidungen erhöhen. Ob dies jedoch im
Zusammenhang mit einem erhöhten Krebsrisiko steht, ist derzeit nicht
beantwortbar.

Diesen und anderen Erklärungsmodellen ist gemeinsam, dass sie meist auf
Tierversuchen oder Beobachtungen an Zellkulturen beruhen, dass sie nicht
bewiesen sind und dass sie das Darmkrebsrisiko alleine nicht erklären
können.

Zur Klärung der zahlreichen offenen Fragen müsste in den Ernährungsstudien
genauer erhoben werden, welche Art von tierischen Lebensmitteln in welcher
Zubereitungsform gegessen wurde. Bei der Zubereitung entstehen einerseits
potentielle Krebsauslöser wie HCA. Andererseits ergaben z.B. Marinierversuche,
dass übliche Grillmarinaden das Entstehen der möglicherweise schädlichen
Substanzen um mehr als 90% reduzieren können. Zudem verringerten die Inhalts-
stoffe typischer Fleischgewürze im Laborversuch die Schädlichkeit potentieller
krebserregender Stoffe. Dies weist darauf hin, dass es einen Sinn hat, Fleisch
mit Kräutern und Senf zu würzen, es vor dem Grillen zu marinieren und verkohlte
Teile abzuschneiden.

Trotz der mangelnden wissenschaftlichen Evidenz wird von verschiedenen
Gesellschaften "Handlungsbedarf" gemeldet. Ihre Empfehlung zu einer allgemeinen
Reduktion des Fleischverzehrs ist wissenschaftlich unbegründet und basiert
allein auf Spekulation. Ob und wie stark die Darmkrebsinzidenz durch eine
Einschränkung des Fleischverzehrs reduziert werden kann, ist unbekannt.

Den gesamten Text dieser Stellungnahme sowie die Literaturangaben können
Sie in Form einer pdf-Datei downloaden oder ausdrucken.

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