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AHO Aktuell - 06.12.2001

Pressekonferenz: Österreichs Tierärzte sind empört!


Eine Information der Bundeskammer der Tierärzte Österreichs
Pressereferent: Johannes Weiß,
Tel: +43/1/402 75 73, Fax: +43/1/408 82 92
E-mail: vetpress@tieraerztekammer.at

05. Dezember 2001

Vom Feinkostladen zum Feinkotzladen: Österreichs Tierärzte sind empört!
"Der Bauer als Veterinär"


Zusammenfassung


Seit dem "Schweinemastskandal" im letzten Winter sehen sich die österreichi-
schen Tierärztinnen und Tierärzte vermehrt mit Forderungen von Landwirtschafts-
funktionären konfrontiert, eingerissene Vorgangsweisen im Bereich der Tier-
haltung durch Liberalisierung zu legalisieren. Während nach den bisher
geltenden Gesetzen Untersuchung und Behandlung von Tieren und daher auch der
Einsatz von Arzneimitteln Tierärzten vorbehalten ist, möchten einige Vertreter
der Landwirtschaft einen möglichst freien Zugang zu Arzneimitteln, um diese
tunlichst ohne tierärztliche Verschreibung selbst anwenden zu können. Selbst
so sensible Bereiche wie Tierimpfungen sollen nach den Vorstellungen der
Landwirtschaft und des Landwirtschaftsministers Mag. Wilhelm Molterer in die
Hände von Landwirten gelegt werden. Sachargumente, dass es sich dabei um
Eingriffe in das immunologische Geschehen bei Tieren handelt und unbedarfte
Tierimpfungen zu Seuchenverschleppungen mit ihren katastrophalen wirtschaft-
lichen Auswirkungen führen können, werden einfach vom Tisch gewischt.

Diese Forderungen sind eine geradezu widersinnige Reaktion auf den
Arzneimittelskandal und werden den österreichischen Verhältnissen auch in der
Landwirtschaft nicht gerecht. Die derzeit noch bestehende flächendeckende
tierärztliche Versorgung auch entlegener landwirtschaftlicher Bereiche
ermöglicht es kleinen und oft auch biologisch wirtschaftenden Betrieben, bei
Bedarf veterinärmedizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch die Kontrolle
der vielen kleinen Schlacht- und Zerlegebetriebe durch Tierärzte ist dadurch
kostengünstig sichergestellt. Die derzeit bestehenden gesetzlichen Regelungen
bis hin zum strengen österreichischen Lebensmittelgesetz haben immerhin
bewirkt, dass Österreichs Landwirtschaft bis heute frei von vielen in Europa
grassierenden Tierseuchen, insbesondere auch von BSE und MKS, ist. Dieses
grundsätzlich bewährte System soll nun nach den Vorstellungen einiger
Landwirtschaftsfunktionäre mutwillig um eines vermeintlichen Kostenvorteiles
willen aufgegeben werden.

Die Chronologie der Ereignisse stellt sich wie folgt dar:

Nach dem Arzneimittelskandal hat die Regierung die Schaffung einer
Lebensmittelagentur, eines österreichweiten Tiergesundheitsdienstes und eines
Arzneimittelkontrollgesetzes angekündigt. Die Lebensmittelagentur gibt es bis
heute nicht und die notwendigen Gesetze werden auch zum Jahreswechsel noch
nicht beschlossen sein. Die bisherigen Beratungen zeigen jedoch, dass es hier
lediglich um Maßnahmen zur Budgetentlastung gehen soll, ohne die Effizienz der
Kontrollen zu verbessern, wobei auch die Budgetentlastung zu hinterfragen ist,
weil derzeit bereits drei parallel agierende Geschäftsführer dieser Agentur
im Gespräch sind.

Der österreichweite Tiergesundheitsdienst lässt weiterhin auf sich warten. Die
Tierärztekammer hat schon vor Jahren gemeinsam mit Vertretern der Landwirt-
schaft für den Bereich der schweinehaltenden Betriebe die "Arbeitsgemeinschaft
Schweinegesundheitsdienste - ARGE SGD" gegründet und in einer kleinen, aber
effizienten Zentralstelle erreicht, dass Maßnahmen in den
Landestiergesundheitsdiensten koordiniert wurden und dafür auch Mittel des
Landwirtschaftsministeriums erhalten. Bedauerlicherweise haben nach einem guten
Start nicht mehr alle Länder mitgemacht, so dass diese Arbeit nach der ersten
Bewährungsprobe eingestellt werden musste.

Die Bundeskammer hat auch mit dem Regierungsbeauftragten Univ. Prof. Dr.
Leibetseder am Konzept eines österreichweiten Tiergesundheitsdienstes mitgear-
beitet. Dieses Konzept liegt bereits seit Sommer vor, wurde jedoch von Ver-
tretern der Landwirtschaft abgelehnt. Ein österreichischer Tiergesundheits-
dienst, der ohne weiteres auch als Koordinierung der Landestiergesundheits-
dienste denkbar ist, ist jedoch dringend notwendig. Im Bereich der Prophylaxe
sind nur österreichweit einheitliche Maßnahmen sinnvoll; ohne Koordinierung
sind diese Förderungsmittel aus Brüssel nicht erhältlich. Im Rahmen bestehender
Tiergesundheitsdienste konnten Tierärzte schon bisher Landwirte in die Arznei-
mittelanwendung einbinden, dies jedoch nur unter genauer Anleitung, Aufsicht
und schriftlicher Dokumentation. Nach den Vorstellungen von Landwirtschaft
und Bundesregierung soll auch das Recht zur Genehmigung solcher Tiergesund-
heitsdienste den Tierärztekammern genommen werden und Tiergesundheitsdienste
in Zukunft vom Landeshauptmann unter Beachtung von Richtlinien des Sozial-
ministers genehmigt werden. Diese Maßnahmen sind im Tierarzneimittelkontroll-
gesetz vorgesehen, das am 6. Dezember im Sozialausschuss des Parlaments
behandelt werden soll. Dieses von der Bundesregierung ebenfalls seit
fast einem Jahr angekündigte Gesetz wurde im Rahmen des Begutachtungsverfahrens
stark verwässert und sieht unter anderem vor, dass Tierarzneimittel einschließ-
lich Tierimpfungen von Landwirten ohne weiteres verabreicht werden können. Wenn
sogar ein Monatsbedarf an Arzneimitteln verschrieben werden kann, kann von
einer tierärztlichen Aufsicht und Verantwortung wohl keine Rede mehr sein.
Diese Liberalisierungsmaßnahmen sind um so unverständlicher, als die
Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz der Europäischen Kommission
im Juni dieses Jahres einen Inspektionsbesuch zur Evaluierung der Rückstands-
kontrollen in Österreich durchgeführt und dabei gravierende Missstände auf-
gezeigt hat. Eine Reihe einschlägiger Richtlinien der EU sind in Österreich
nicht umgesetzt, bei der Implementierung anderer Richtlinien wurden schwer-
wiegende Mängel festgestellt. Die bestehenden Rechtsvorschriften zur Anwendung
von Tierarzneimitteln werden als vollkommen unzureichend bezeichnet, um einen
ausreichenden gesundheitlichen Verbraucherschutz zu gewährleisten. Zusammen-
fassend wird festgehalten, dass Österreich über keine ausreichenden Rechts-
vorschriften verfügt, die den Verbraucher wirksam vor dem illegalen Einsatz
von Tierarzneimitteln bei lebensmittelliefernden Tieren schützen. Die
Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens wird schlussendlich als letzte
Konsequenz angedroht.

Als Reaktion darauf den Arzneimitteleinsatz und die Impfstoffanwendung durch
Landwirte vorzusehen, geeignete Kontrollmaßnahmen wie die Schaffung eines
österreichweiten Tiergesundheitsdienstes zu verhindern und die an sich günstige
Seuchensituation in Österreich zum Nachteil der Tiere, der Konsumenten, der
Umwelt und nicht zuletzt auch der ehrlich produzierenden Bauern ernsthaft zu
gefährden, erscheint völlig unverständlich.

Landwirtschaft verkauft Feinkostladen Österreich um 30 Millionen öS:

Mit dem am 6. Dezember 2001 im Gesundheitsausschuss zu behandelnden
Arzneimittelkontrollgesetz werden die gesetzeswidrigen Praktiken des
Schweineskandals vom Jänner 2001 legalisiert. In der Überschrift ist zwar von
strengeren Rahmenvorgaben und effizienteren Kontrollmaßnahmen die Rede, doch
bei genauem Lesen bedeutet dieses Gesetz das Gegenteil. Und das alles wegen
30 Millionen Schilling:

Seit einem Jahr fordert die Landwirtschaft vehement und unterlegt mit völlig
falschen Zahlen die Abgabe von Vaccinen zur Saugferkelimpfung direkt an die
Bauern. Einsparungspotential in ganz Österreich: 30 Millionen Schilling an
Tierarztkosten für die zweimalige Impfung von 3 Millionen Ferkeln. Der
Gesamterlös der Schweineproduktion in Österreich betrug laut Grünem Bericht
im Jahr 2000 8,887 Milliarden Schilling. Eine Kostensenkung also von 3
Promille. Bisher besuchten in ganz Österreich alle 2 - 3 Wochen die
Schweinepraktiker alle Schweinezuchtbetriebe. Dadurch hat das österreichische
Veterinärwesen einen Überblick über die Krankheits- und Seuchenlage im Land,
für die uns ganz Europa beneidet. Wie jeder weiß, blieb Österreich sowohl von
BSE als auch der MKS verschont. Unter anderem aus dem oben angeführten Grund.
Jeder Verdacht wird sofort gemeldet und überprüft. MKS und BSE haben einen
europaweiten Schaden von mehreren 100 Milliarden Schilling angerichtet. Die
österreichische Landwirtschaft will trotzdem die Tierärzte aus dem Stall jagen.
Wegen 30 Millionen Schilling im Jahr. Diese zwar nicht geringe Summe erscheint
in einem ganz anderem Licht, wenn man ein paar Zahlen (sie stammen alle aus dem
jüngst erschienenen Grünen Bericht des Landwirtschaftsministeriums) kennt. 520
Millionen Schilling stellte die EU Österreich zur Förderung von Verarbeitung
und Vermarktung agrarischer Produkte zur Verfügung. Die gesamte Direktförderung
an die Landwirte betrug 19,7 Milliarden Schilling. Das sind 175.000 öS im
Durchschnitt für jeden Betrieb. Aber mit 30 Millionen lässt sich viel poli-
tisches Kleingeld und gute Stimmung machen. Dass sich die österreichische
Bundesregierung auf so einen Handel einlässt, verwundert schon weniger, wenn
man weiß, dass 70 % der ÖVP-Bürgermeister Bauernbundmitglieder sind.

Und wenn schon ein Gesetz geändert wird, dann doch gleich richtig. Die
Ereignisse des Jänner 2001 sollten eigentlich jedem klar gemacht haben,
dass hinter Arzneimittelskandalen immer schon Großpraxen mit unzähligen
Assistenten standen. Die haben ganze Erzeugergemeinschaften als Kunden
angeworben und auf einmal hunderte Höfe dadurch mit ihren billigen Medi-
kamenten versorgen können. In Österreich waren Betreuungsverträge bisher
nur zwischen einzelnen Tierärzten und einzelnen Bauern möglich. Das neue
Gesetz räumt damit auf. Die Praxisgemeinschaft, die das billigste Angebot
legt, kann gleich mit ganzen landwirtschaftlichen Organisationen Verträge
abschließen.

Der Inhalt dieses Tiergesundheitsdienstvertrages wurde bisher von den
Tierärztekammern mit den Landwirtschaftskammern ausgehandelt, was nicht immer
leicht war. Jetzt bestimmt diesen nach Vorgaben des Gesundheitsministers der
Landeshauptmann. In OÖ z. B. ist der gleichzeitig Agrarlandesrat. Mehr muss
man dazu wohl nicht sagen.

Aber damit ist die Sache noch nicht zu Ende. Die dänische Massentierhaltung hat
sich Österreichs Landwirtschaft zum Vorbild gemacht. Dort sind Medikamente
deutlich billiger, weil der Tierarzt praktisch nichts daran verdient. Billige
Medikamente haben aber schon immer zu vermehrtem Einsatz geführt. In Dänemark
verdient ein Tierarzt umgerechnet 1935 öS bis 2235 öS in der Stunde. Dadurch
wird der Wegfall der Medikamentenspanne kompensiert. Seine österreichischen
KollegInnen bekommen in der gleichen Zeit 600 öS. Die Medikamentenpreise will
man senken, die Stundenlöhne aber nur marginal erhöhen. Jeder kann sich
ausmalen, dass in kürzester Zeit die Anzahl der in der Nutztierpraxis
arbeitenden Tierärzte auf ein Minimum reduziert sein wird. So wie in England,
von wo BSE und MKS kommt und schon hunderte Milliarden kostete. Das alles
wegen 30 Millionen Schilling und ein paar Wählerstimmen mehr.

Forderungen der Landwirtschaft

Vertreter der Landwirtschaft sind über den Landwirtschaftsminister in den
letzten Monaten mit einer immer breiter werdenden Palette von Forderungen an
den Sozialminister herangetreten, die in ihrer Gesamtheit eine völlige Freigabe
des Arzneimitteleinsatzes bei landwirtschaftlichen Nutztieren bewirken würden.
So hat die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern die völlige
Herausnahme angestellter Tierärzte aus dem Tierärztegesetz gefordert, um mit
so angestellten Tierärzten völlig schrankenlos agieren zu können. Im human-
medizinischen Bereich würde eine solche Forderung bedeuten, dass z. B. große
Firmen Arbeitsmediziner anstellen könnten, die dann nicht mehr dem Ärztegesetz
unterliegen.

Die Präsidentenkonferenz hat aber auch gefordert, dass im Rahmen von
Tiergesundheitsdiensten sowohl § 12 des Tierärztegesetzes, der die dem Tierarzt
vorbehaltenen Tätigkeiten wie Untersuchung, Behandlung und Operationen
festlegt, sowie § 12 des Tierseuchengesetzes, der Tierimpfungen durch Tierärzte
regelt, überhaupt nicht mehr gelten sollen.

Im Rahmen von Gesprächen mit der pharmazeutischen Industrie wurde eine lang-
jährige Forderung der Tierärztekammer nach Senkung der Arzneimittelpreise
aufgegriffen, zusätzlich jedoch die Forderung nach Wegfall sämtlicher Spannen
erhoben. Hausapothekenführende Tierärzte sollten demnach die Kosten für
Apothekenausbildung und -fortbildung, der Lagerhaltung, des Transportes, des
Ablaufs, des Schwundes und der Entsorgung angebrochener Packungen aus eigener
Tasche zahlen.

Verbrämt wurde dies alles mit einer Fülle von Forderungen zum Organisations-
recht des Berufsstandes und der Kammer, um eine Kammerreform und Reduzierung
der neun Landeskammern und der Bundeskammer auf eine österreichische Tierärzte-
kammer vorsieht, zu blockieren. Diese Forderungen betreffen beispielsweise die
Berufssitzregelung für Tierärzte, die Etablierung von Ausschüssen in der
Tierärztekammer, die Ablehnung des kammerinternen Disziplinarverfahrens, wie es
für alle freien Berufe gilt und Eingriffe in die kammereigenen Wohlfahrtsein-
richtungen. Diese Themen berühren die Landwirtschaft überhaupt nicht. Die
Forderungen werden offenbar nur aus taktischen Erwägungen erhoben.

Tierarzneimittelkontrollgesetz

Der Entwurf des Tierarzneimittelkontrollgesetzes ist die Reaktion der
Bundesregierung auf die in letzter Zeit aufgedeckten Fälle illegalen
Tierarzneimitteleinsatzes durch Landwirte, die im großen Stil von deutschen
Autobahntierärzten in Österreich nicht zugelassene Produkte bezogen haben.
Die ursprünglichen Vorstellungen, schon den Besitz illegaler Arzneimittel
strafbar zu machen und genaue Aufzeichnungsbestimmungen auch für Landwirte
vorzusehen, wurden jedoch stark verwässert. Aufzeichnungspflichten werden
im wesentlichen nur mehr für Tierärzte, nicht jedoch für Landwirte
vorgesehen.

Die vielfältigen Beschränkungen bei der Verschreibung von Fütterungs-
arzneimitteln werden schließlich dadurch relativiert, dass ein Monatsbedarf
an Fütterungsarzneimitteln verschrieben werden darf (§ 6 Abs. 5 des Entwurfs).

§ 7 des Entwurfs sieht überhaupt vor, dass Arzneimittel dem Tierhalter auch
außerhalb von Tiergesundheitsdiensten überlassen werden dürfen. Ganz besonders
bedenklich ist die vorgesehene Erlaubnis der Impfung durch den Tierhalter in
§ 7. Pro forma werden dann noch Vorschriften für die Genehmigung von Tier-
gesundheitsdiensten aufgestellt, wobei diese entgegen der derzeit bestehenden
Rechtslage vom Landeshauptmann nach Richtlinien des Sozialministers erfolgen
soll. Die Tierärztekammer hat dabei nur mehr ein Anhörungsrecht.

Aufzeichnungspflichten werden für Hersteller, Großhändler, Tierärzte und
Apotheken festgelegt, nicht jedoch für Landwirte (§ 8 des Entwurfes).
 



 

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