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AHO Aktuell - 02.12.2001

Bisons: Artgerechte Haltung in Deutschland möglich


München (aho) - Mit Hilfe einer wissenschaftlichen Untersuchung des Instituts
für Tierhygiene, Verhaltenskunde und Tierschutz der LMU - München sollte das
Ausmaß der Bisonhaltung in Deutschland ermittelt, sowie aus Verhalten und
Fortpflanzungserfolg auf Tiergerechtheit und Wirtschaftlichkeit der Haltung
geschlossen werden. Dazu wurden die aktuellen Bestandszahlen erhoben und
Geburts-, Saug-, Mutter-Kind- und Brunftverhalten in zwei verschiedenen
bayerischen Herden untersucht. In der ersten Herde befanden sich 52 Zuchtkühe
und fünf Zuchtstiere; die Tiere waren bis auf einen dreijährigen Bullen
einheitlich vier Jahre alt. Die zweite Herde umfaßte u.a. acht Bisonzuchtkühe
im Alter zwischen 6-17 Jahren und zwei Zuchtbullen im Alter von acht und 4-5
Jahren. Herde 1 standen drei Weideflächen mit insgesamt 15-20 ha Fläche zur
Verfügung, die den Tieren im Rotationsverfahren und in Form von Portionsweiden
zugänglich gemacht wurden. Herde 2 wurde auf einem 6 ha Areal gehalten; im
Sommer stand im Wechsel noch eine 2,5 ha große Weidefläche zur Verfügung.

Die Untersuchungen in den beiden Herden erfolgten in den Jahren 1998 (Herde 1)
sowie 1999 (Herde 2) und dauerten jeweils sechs Monate von Frühjahr bis Herbst.
Es ergaben sich für Herde 1 insgesamt 85 Beobachtungstage mit 1140 Beob-
achtungsstunden, für Herde 2 waren es 33 Beobachtungstage mit 475
Beobachtungsstunden.

Die Überwachung erfolgte zu Fuß unter Verwendung eines Fernglases. Eine
individuelle Unterscheidung der adulten Tiere war gewährleistet. Bei den
angewandten Beobachtungsmethoden handelte es sich um das sogenannte
"Sampling all occurrences of some behaviors" und die "ad libitum"-Methode.

Die Untersuchungen führten zu folgenden Ergebnissen:

1. Bestände

- Innerhalb von drei Jahren stieg die Anzahl der privat gehaltenen Bisons in
Deutschland von 256 auf knapp 450 Tiere, die der Betriebe von 18 auf etwa 30
(Stand: Mai 2000). Im Vergleich mit dem Jahr 1997 verzeichnete die deutsche
Bisonhaltung somit einen Zuwachs der Tierzahlen um 75%, der Betriebe um 72%.

2. Geburt

- Die Geburtensaison lag in beiden Herden zwischen April und Juni, mit
Schwerpunkt im Mai. 84% der Geburten fanden innerhalb von sechs Wochen
(Herde 1) bzw. 100% innerhalb von fünf Wochen (Herde 2) statt.

- Die meisten Geburten (48%) fielen im Tagesverlauf in die Zeit zwischen
12:00 h und 18:00 h.
- Am Tag der Geburt sonderten sich 21% der Kühe eigenständig von der Herde
ab; 21% hielten sich in den Randbereichen der Gruppe auf und 58% befanden
sich im Zentrum der Herde. Aufgrund von Herdenbewegungen verblieben zum
Zeitpunkt der Geburt letztendlich nur noch 11% abseits, 16% am Rand und
47% im Zentrum der Herde.
- Die Geburt dauerte durchschnittlich 117 min; die längste Zeit nahm die
Zeitspanne vom Platzen der Fruchtblase(n) bis zur Austreibung der Klauen
mit durchschnittlich 77 min in Anspruch.
- Die Nachgeburt ging innerhalb von 24 h ab und wurde bis auf eine Ausnahme
in allen beobachteten Fällen zumindest teilweise gefressen.
- Alle Muttertiere zeigten nach der Geburt eine große Fürsorge gegenüber
dem eigenen Kalb, die in erster Linie aus intensivem Belecken bestand.
- Die Kälber unternahmen innerhalb der ersten 10 min Aufstehversuche, die
innerhalb der ersten halben Stunde post natum zum Erfolg führten.
- Die zweijährigen Jungbullen zeigten während der ersten sieben Geburten
deutlich aggressives Verhalten gegenüber den Neugeborenen.

3. Saugverhalten

- Die Eutersuche dauerte bis zum ersten erfolgreichen Saugen durchschnittlich
11 min, der erste Saugakt erfolgte innerhalb der ersten dreiviertel Stunde
post natum.
- Am Tag der Geburt tranken die Kälber ohne erkennbaren Saugrhythmus sehr
häufig in unregelmäßigen Abständen. Bereits am zweiten Tag stellte sich ein
Rhythmus ein und die Tiere tranken durchschnittlich alle 2 h. Mit eineinhalb
Monaten fand alle 3-4 h, mit sechs Monaten nur noch alle 5-10 h ein Saugakt
statt. Die Beziehung zwischen Alter und Saugfrequenz erwies sich als höchst
signifikant.
- Die Saugdauer stieg zunächst von ca. 2 min pro Saugakt am Tag der Geburt
auf 6-8 min im Alter von eineinhalb Monaten; dann fiel sie kontinuierlich
wieder auf 4-6 min im Alter von einem halben Jahr. Die positive (Altersklasse
1 - 6) bzw. negative Korrelation (Altersklasse 7 - 12) zwischen Altersklasse
und Saugdauer erwies sich als signifikant.
- Die Saugdauer männlicher Kälber unterschied sich nicht signifikant von
der weiblicher Jungtiere.
- Die weitaus häufigste Position (99%) der Kälber während des Saugaktes war
die verkehrtparallele Stellung.
- Der Grundstein für die spätere Entwöhnung wurde bereits im ersten Monat
gelegt: Die Gesamtsaugdauer (Saugfrequenz x Saugdauer pro Saugakt pro Tag)
nahm in beiden Herden ab der 3.-4. Woche kontinuierlich ab. Die Aufforderung
zum Saugakt ging nach und nach von der Kuh auf das Kalb über und die Mutterkuh
ließ das Jungtier nicht mehr bis zu dessen Sättigung trinken. Ab dem vierten
Monat akzeptierte das Kalb die Abwehrbewegungen der Mutter weitgehend.
- Die Saugaktivität nahm im Verlauf des Tages zur Mittagszeit hin kontinuier-
lich zu und fiel anschließend wieder ab. Gegen Spätnachmittag bzw. Abend konnte
ein erneuter Anstieg der Saugaktivität verzeichnet werden.
- Fremdsaugen wurde in weniger als einem halben Prozent der Fälle beobachtet.
Dem jeweiligen Saugakt, der stets kürzer als ein normaler Saugakt bei der
Mutter war, kam keine nutritive Funktion zu.
- Ein bestimmtes Kalb wurde von zwei Kühen, welche aus demselben Herdenverband
stammten und eine enge soziale Bindung aufwiesen, gleichzeitig aufgezogen. Die
eine von beiden hatte ihr eigenes Kalb verloren und säugte nun das Kalb der
anderen Kuh gleichermaßen wie jene selbst.

4. Mutter-Kind-Verhalten

- Die Ausbildung der Mutter-Kind-Bindung begann wechselseitig unmittelbar post
partum. Für die Mutterkuh war die intensive Fürsorge, für das Kalb die
Assoziation von engem nicht-aggressiven Kontakt mit der Mutter entscheidend für
die erste Ausbildung der Bindung.
- Die Kuh erkannte spätestens am Tag nach der Geburt ihr Kalb am Geruch; dieser
olfaktorischen Identifikation kam zunächst die größte Bedeutung bei der
Erkennung des Kalbes zu. Ab zwei Wochen post partum spielte die Erkennung des
Jungtieres an der Stimme eine größere Rolle. Die optische Identifikation war
erst 3-4 Wochen nach der Geburt möglich.
- Das Kalb erkannte seine Mutter erst ab einem Alter von etwa einer Woche an
deren Stimme. Optisch konnte es sie ab ca. vier Wochen von anderen Kühen
unterscheiden.
- In den ersten Tagen post partum war der Kontakt zwischen Mutter und Kalb sehr
eng. Die Kuh diente dem Jungtier stets als Ausgangs- und Endpunkt für alle
seine Aktivitäten; gleichzeitig verhinderte die Mutterkuh weitgehend den
Kontakt des Kalbes zu anderen Herdenmitgliedern.
- Mit ca. zwei Wochen begann das Kalb, Gras zu fressen und Wasser zu trinken.
Festes Futter bildete ab einem Alter von etwa einem Monat einen wesentlichen
Nahrungsbestandteil. Graduell lockerte sich nun auch die Bindung zwischen
Mutter und Kalb; eine deutliche, wenn auch bei weitem nicht mehr so enge
Bindung bestand jedoch auch noch nach sechs Monaten.

5. Brunftverhalten

- Die Brunft fiel in die Zeit zwischen Juli und September, mit Schwerpunkt
im August. Ein erneuter Anstieg der Brunftaktivitäten im Oktober und November
ging vermutlich auf Kühe zurück, die zuvor nicht aufgenommen und daher erneut
brünstig geworden waren.
- Die Zeitspanne zwischen Geburt und Östrus der Kuh lag bei etwa drei Monaten.
Sie verkürzte sich um so mehr, je später im Jahr die Geburt stattfand. Dieser
Zusammenhang erwies sich als höchst signifikant.
- Der dominanteste Bulle jeder Herde führte die meisten Deckakte aus (71% in
Herde 1, 83% in Herde 2).
- 50% (Herde 1) bzw. 67% (Herde 2) der Kühe wurden mehr als einmal belegt.
Das Maximum lag bei vier Kopulationen pro Kuh.
- Die Deckakte fanden schwerpunktmäßig in der Zeit zwischen 12:00 h und
14:00 h statt.
- Ein sehr intensiver Einsatz eines Bullen im Deckgeschehen konnte bei
Überbelastung zu allgemeinem Kräfteverfall und Libidomangel führen.

Das beobachtete Verhalten der Tiere stimmte - trotz kleinerer zur Verfügung
stehender Flächen und intensiverem Management - im Wesentlichen mit dem in
der Literatur für in Nordamerika lebende Bisons beschriebenen Verhalten
überein. Die Autorin der Studie betont, daß im Hinblick auf die untersuchten
Aspekte somit nichts dagegen spricht, die Tiere trotz Herkunft von einem
anderen Kontinent unter den beschriebenen Haltungsbedingungen in Deutschland
zu halten. Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit weisen die wachsenden Tier-
und Bestandszahlen auf ein erhöhtes Interesse an der Bisonhaltung hin. Im
Rahmen des verstärkten Eßbewußtseins der Bevölkerung und nicht zuletzt im
Hinblick auf die BSE-Problematik könnte dieser Wirtschaftszweig durchaus
an Bedeutung gewinnen.


Quelle:

Haßpacher, Tanja
Verhaltensuntersuchungen beim nordamerikanischen Bison (Bison bison) unter
Haltungsbedingungen in Deutschland
Dissertationen an der Tierärztlichen Fakultät (Institut für Tierhygiene,
Verhaltenskunde und Tierschutz) der LMU - München im Sommersemester 2001
 



 

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