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AHO Aktuell - 12.10.2001

ZDS: Offener Brief an Ministerin Künast


Sehr geehrte Frau Ministerin Künast,

Sie sind vor knapp einem Jahr angetreten, um eine Agrarwende herbeizuführen.
Mit der Unterstützung von Bundeskanzler Schröder haben Sie sich das Ziel
gesetzt, die Ökolandwirtschaft zu fördern, so dass in etwa zehn Jahren ein
Anteil von rund 20 % Ökoprodukten in den Ladenregalen erreicht wird.
Gleichzeitig verstehen Sie sich nicht nur als Agrarministerin, sondern in
erster Linie als Verbraucherschutzministerin.

Wir fragen uns, welchen Schutz der Verbraucher von der Ökoproduktion
erwarten kann:

- Schutz vor hohen Preisen? Nein, Ökoprodukte sind teuer!

- Schutz vor gesundheitlichen Risiken, z.B. Salmonellen?
Nein, Stroheinstreu und Auslaufhaltung sind Risikofaktoren!

- Schutz vor Qualitätsmängeln? Nein, "Öko" ist keine Qualitätsgarantie!

- Schutz vor Etikettenschwindel? Nein, die Kontrolle des neuen Ökolabels
umfasst nicht die gesamte Prozesskette bis hin zur Ladentheke, wie beim
geplanten Prüfzeichen für konventionell erzeugte Produkte.

- Schutz vor Subventionszahlungen an die Landwirtschaft? Nein, der
Anspruch von rund 20 % Ökoprodukten erfordert eine massive Subventionierung
dieses Sektors!

- Schutz vor "Massentierhaltung"? Nein, auch Ökoschweine müssen in Massen
gehalten werden, um 20 % der Nachfrage decken zu können!

Es bleibt also die Frage nach dem Sinn und Zweck der "Ökowelle", zumal die
Mehrzahl der Verbraucher nicht in der Lage bzw. gewillt ist, den Ökoaufschlag
zu zahlen. Vielmehr erwarten wir, dass Sie der Wirtschaft einen Motivations-
schub geben, damit die Produzenten auf die Verbraucher zugehen und in neue,
moderne Ställe investieren, die tier- und umweltgerecht sind.

Leider haben Sie bislang das Gegenteil bewirkt. Durch nostalgische Träume
von einer "heilen Ökowelt" ist die Wirtschaft im höchsten Maße verunsichert!
Die Industrie beklagt einen Investitionsstillstand, und dem landwirtschaft-
lichen Nachwuchs fehlt die Perspektive für den Verbleib in der Landwirtschaft.

Die Landwirte verstehen sich als Unternehmer und sind einem internationalen
Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Um in die Zukunft investieren und um gezielt
Märkte bedienen zu können, benötigen sie wissenschaftlich fundierte
Orientierungshilfen statt ideologisch überzogener Reglementierungen.
Hierzu einige Beispiele:

Wir sagen "Ja" zur Flächenbindung. Es muss den Tierhaltern aber freigestellt
sein, die Flächen für eine fach- und bedarfsgerechte Verwertung der Gülle
ohne den Zwang zur Selbstbewirtschaftung nachzuweisen. Gegen die Auflage
zur Selbstbewirtschaftung der Flächen spricht auch der kontinuierliche
Betreuungsbedarf in der Tierhaltung sowie die hohe spezielle Qualifikation,
und zwar ganzjährig, ohne Vernachlässigung der Tierhaltung in kombinierten
Betrieben während der Erntezeit.

Wir sagen "Ja" zum Tierschutz, aber nicht "einäugig" und nicht allein nach
Maßstäben der menschlichen Gefühlswelt, sondern auf der Basis fundierter,
wissenschaftlicher Erkenntnisse. Dabei dürfen Aspekte des Umweltschutzes,
der Tiergesundheit und des Wettbewerbs nicht vernachlässigt werden.

Wir sagen "Ja" zum Umweltschutz, aber unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit
sowie nach einheitlichen Rahmenbedingungen bzw. Ausführungsbestimmungen.
Das gilt z.B. für die neuen Regeln zur Durchführung von BImSch-Genehmigungen
und UVP-Prüfungen. Behördliche Willkür muss unter allen Umständen vermieden
werden.

Wir sagen "Ja" zu Transparenz und Qualitätssicherung bis zur Ladentheke. In
diesem Zusammenhang erscheint es uns allerdings kontraproduktiv, die
"Agrarindustrie" und "Massentierhaltung" zu verteufeln, denn nur im Verbund
aller beteiligten Wirtschaftsbereiche und mit sinnvollem Einsatz moderner
Technik lässt sich Qualitätssicherung erreichen. Außerdem sind große Betriebe
eher in der Lage, die zunehmenden staatlichen Auflagen zu erfüllen und
gleichzeitig die Verbrauchernachfrage nach preiswerten Lebensmitteln zu
bedienen. Die aktuelle Agrarpolitik forciert den Strukturwandel - zu Lasten
der kleinen Betriebe.

Wir sagen "Ja" zum Prüfzeichen. Die lückenlose Dokumentation sowie neutrale
Kontrollen schaffen Transparenz für den Prozess der Lebensmittelerzeugung.
Nur so lässt sich das Verbrauchervertrauen gewinnen. Wir dürfen dieses Projekt
allerdings nicht überfrachten. Die Beteiligten aus der Wirtschaft müssen dort
abgeholt werden, wo sie sich befinden; anderenfalls wäre nichts gewonnen.

Sehr geehrte Frau Ministerin, wir bitten Sie herzlich, die von Ihnen
propagierte neue Agrarpolitik mit den Landwirten und nicht gegen sie zu
gestalten. Dazu laden wir Sie ein, moderne, wettbewerbsfähige landwirtschaft-
liche Betriebe zu besuchen und kennen zu lernen. Wir hoffen auf Ihre Unter-
stützung und auf Ihre Gesprächsbereitschaft.


Dr. Jens Ingwersen
ZDS-Geschäftsführer
 



 

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