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AHO Aktuell - 21.09.2001

Paratuberkulose / Morbus Crohn: Weiterer Forschungsbedarf


(bgvv) - Die Frage nach einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der
Paratuberkulose des Rindes (Johne'sche Krankheit) und der Morbus
Crohn-Erkrankung des Menschen
stand im Mittelpunkt eines
Sachverständigengesprächs, zu dem das BgVV Human- und Veterinärmediziner
aus Bundesinstituten, Bundesforschungsanstalten, Universitäten und
Einrichtungen der amtlichen Lebensmittelüberwachung am 19. September
2001 nach Berlin eingeladen hatte. Die Experten schätzten einen
ursächlichen Zusammenhang als eher unwahrscheinlich ein. Sie hielten es
aber durchaus für denkbar, dass der Erreger der Johne'schen Krankheit,
das Mycobacterium avium ssp. paratuberculosis (M. paratuberculosis), das
Krankheitsbild von Morbus Crohn verschlimmern und bei einem Teil der
Patienten möglicherweise ein mit auslösender Faktor gewesen sein könnte.
Die Fachleute waren sich einig, dass die vorliegenden Daten für eine
abschließende gesundheitliche Risikoabschätzung nicht ausreichen.

Bei der Morbus Crohn-Erkrankung des Menschen handelt es sich um eine
chronische, unspezifische Darmentzündung, die alle Abschnitte des
Verdauungstraktes betreffen kann. An der Entstehung kann eine Reihe von
Faktoren beteiligt sein, darunter genetische, immunologische,
diätetische und psychosoziale Faktoren. Die Beteiligung verschiedener
Bakterienarten, darunter auch M. paratuberculosis, wird diskutiert. Drei
bis sechs von 100.000 Menschen erkranken in Deutschland pro Jahr an
dieser Darminfektion. Die Zahl ist in den letzten Jahren verhältnismäßig
konstant geblieben.

Auch die John'sche Krankheit des Rindes ist eine chronisch verlaufende
Darmerkrankung. Sie ist unheilbar und geht mit anhaltenden Durchfällen
und fortschreitender Abmagerung der Tiere einher. Schon die Kälber
infizieren sich über die Milch erkrankter Muttertiere oder nehmen die
Mykobakterien über Futter und Wasser auf, das mit erregerhaltigem Kot
verschmutzt ist. Die Erkrankung kommt weltweit vor und ist auch in
deutschen Rinderbeständen verbreitet. Bundesweite Zahlen über den
tatsächlichen Grad der Bestandsdurchseuchung liegen für Deutschland
nicht vor. Es gibt keine repräsentativen Studien, auch, weil eine
sichere Frühdiagnostik bislang nicht möglich ist. Die Experten wiesen
aber darauf hin, dass M. paratuberculosis zunehmend zu einem Problem der
Tiergesundheit und damit auch zu einem wirtschaftlichen Problem wird.

Für eine mögliche Beteiligung von M. paratuberculosis an der Entstehung
oder Entwicklung von Morbus Crohn spricht, dass der Erreger bei einem
Teil der Patienten nachgewiesen wurde (teilweise allerdings auch bei
Gesunden) und dass erfolgreiche Behandlungen mit antimykobakteriellen
Medikamenten beschrieben sind. Insgesamt sind die bisherigen
Forschungsergebnisse aber widersprüchlich.

Weitgehend unbeantwortet ist die Frage nach der Exposition des Menschen
gegenüber dem Erreger. Milch und Milchprodukte könnten kontaminiert
sein, aber unter Umständen auch Gemüse, das auf "naturgedüngten" Feldern
gewachsen ist. In Großbritannien fand man das Mycobacterium
paratuberculosis in pasteurisierter Milch aus dem Handel.
Wissenschaftler der Bundesanstalt für Milchforschung in Kiel wiesen
nach, dass die in Deutschland übliche Pasteurisierung der Milch die
Keimzahl von M. paratuberculosis stark reduziert, dass die Erhitzung
aber nicht ausreicht, um die Keime vollständig abzutöten. In welchem
Umfang Milch und Milchprodukte in Deutschland das Mycobacterium
paratuberculosis tatsächlich enthalten, konnte bislang nicht ermittelt
werden.

Bevor eine abschließende Bewertung der gesundheitlichen Bedeutung von M.
paratuberculosis für den Menschen insbesondere im Hinblick auf eine
mögliche Beteiligung am Morbus Crohn-Geschehen möglich ist, muss eine
Reihe offener Fragen beantwortet werden:

- Ist eine Infektion mit M. paratuberculosis am Krankheitsgeschehen des
Morbus Crohn beteiligt?

- Sind die Stämme der Erreger, die bei an Paratuberkulose erkrankten
Tieren gefunden werden, identisch mit denen, die bei Morbus
Crohn-Patienten nachgewiesen werden?

- Sind antimykobakterielle Arzneimittel in der Therapie von Morbus Crohn
wirksam, oder beruht die teilweise beobachtete Wirksamkeit der bislang
eingesetzten Kombinationspräparate lediglich auf ihrem allgemeinen
antibakteriellen Effekt?

- Wie hoch ist der Durchseuchungsgrad der deutschen Rinderbestände, auch
im Hinblick auf mögliche regionale Unterschiede?

- Wie hoch ist der Grad der Kontamination von Milch und daraus
hergestellten Lebensmitteln, und könnte der Einsatz anderer Technologien
die Lebensmittel im Hinblick auf das Vorkommen von M. paratuberculosis
sicher machen?

Zur Beantwortung dieser Fragen empfehlen die Experten die Durchführung
der folgenden Studien:

- Vorkommen von Mycobacterium paratuberculosis bei Morbus
Crohn-Patienten und mögliche Beteiligung am Krankheitsgeschehen

- regionaler Vergleich des Vorkommens von Paratuberkulose in
Rinderbeständen mit Morbus Crohn-Erkrankungen beim Menschen

- Vergleich der aus Tier und Mensch isolierten Mycobacterium
paratuberculosis-Stämme auf Stammidentität

- Definierte Infektionsversuche bei Tieren mit aus Morbus
Crohn-Patienten isolierten Stämmen

- Bundesweites Monitoring von Tankmilchproben nach erfolgreicher
Validierung eines serologischen Tests zur Identifizierung befallener
Milchviehherden

- Untersuchung von Lebensmitteln auf das Vorkommen von Mycobacterium
paratuberculosis

- Prüfung des Einsatzes lebensmitteltechnologischer Verfahren zur
Eliminierung von M. paratuberculosis

Die Teilnehmer des Sachverständigengesprächs sprachen sich für eine enge
Verknüpfung des Kompetenznetzwerks Morbus Crohn und des Netzwerks für
lebensmittelbedingte Infektionskrankheiten, das am Robert Koch-Institut
koordiniert wird, aus. Alle bereits vorliegenden Studien, die sich mit
einem möglichen Zusammenhang zwischen der Paratuberkulose des Rindes und
der Morbus Crohn-Erkrankung des Menschen befasst haben, sollen noch
einmal ausgewertet werden. Eine kontrollierte Studie zum Einsatz
antimykobakterieller Arzneimittel läuft in Kürze an. Mit Ergebnissen aus
den oben genannten Studien rechnet die Expertengruppe wegen des zu
erwartenden aufwendigen Studiendesigns und des (zeit)aufwendigen
Erregernachweises nicht vor Ablauf von zwei Jahren. Die Notwendigkeit
spezifischer Verzehrsempfehlungen wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt von
humanmedizinischer Seite nicht für erforderlich gehalten.

bgvv - Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und
Veterinärmedizin
Thielallee 88 - 92, D - 14195 Berlin, Telefon: 01888/412-4300, Telefax:
01888/412-4970 Presserechtlich verantwortlich: Dr. Irene Lukassowitz
30/2001; 21. September 2001
 



 

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