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AHO Aktuell - 09.06.2001

Vortrag: Ernährung und Gesundheit - BSE und die Folgen


Prof. Dr. Helmut Heseker, Universität Paderborn

Ernährung und Verbraucherschutz sind in jüngster Zeit in Öffentlichkeit
und Politik zu zentralen Themen geworden. Auch wenn bezüglich BSE und
MKS von verschiedenen Seiten inzwischen vorsichtig Entwarnung gegeben
wird, sind viele wichtige Fragen bisher nicht ausreichend beantwortet.
Die Medien haben diese und andere lebensmittelbezogene Themen zwar
ausdauernd bearbeitet, aber m.E. mehr zur Verunsicherung als zur
Aufklärung der Verbraucher beigetragen. Daher soll hier für BSE kurz der
State-of-the-Art aufgezeigt werden.

Was ist BSE?

Bei der Bovinen Spongiformen Encephalopathie (BSE) handelt es sich um
eine Gehirn- und Rückenmarkserkrankung des Rindes. Hierbei zersetzt der
BSE-Erreger das Gehirn, macht es löchrig, so dass es zu schwammförmigen
Gehirnveränderungen kommt. Erkrankte Tiere magern ab, werden ängstlich,
verlieren die Kontrolle über ihre Muskeln. Weiter werden Muskelzittern,
unkontrollierter Speichelfluß, Taumeln, Stürze, Hilflosigkeit
beobachtet. BSE zählt zu den übertragbaren Prionenerkrankungen, den so
genannten Transmissible Spongiformen Encephalopathien (TSE), die auch
bei vielen anderen Säugetieren vorkommen. Beim Schaf kennen wir Scrapie
(Traberkrankheit); beim Menschen die alte und die neue Variante der
Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJK), das
Gerstmann-Sträussler-Schenker-Syndrom (GSS) und Kuru; bei Elch und
Hirsch eine Chronisch-zehrende Erkrankung (CWD); beim Nerz die
Transmissible Mink Encephalopathy (TME) und bei Haus- und Wildkatzen die
Feline Spongiforme Encephalopathie (FSE). In englischen Zoos wurde z.B.
eine Vielzahl weiterer unterschiedlicher Spezies durch Verfütterung
BSE-erkrankter Tiere infiziert.

Gemeinsame Merkmale der TSE sind: eine Jahre bis Jahrzehnte dauernde
Inkubationszeit, progressiv-chronische Erkrankungen, zunehmende
Hirnzerstörung, Demenz und Verhaltensveränderungen, Bewegungsstörungen
sowie eine Degeneration und Vaskuolisierung im Gehirn. Es gibt bisher
keine Schutzimpfungen und keine Therapiemöglichkeit. TSE-Erkrankungen
führen immer zum Tode. Eine definitive Diagnose kann erst nach dem Tode
gestellt werden.

Was sind Prionen?

Prionenproteine (PrPc) sind Sialoglykoproteine, die als wichtige
Zellbestandteile in der Plasmamembran von gesunden Nervenzellen bei
Mensch und Tier verankert sind. Diese haben bei allen Säugetieren eine
sehr ähnliche Form. Normale menschliche Prionenproteine bestehen aus 253
Aminosäuren. Der genetische Code hierfür ist auf Chromosom 20
lokalisiert. Während die Bildung der Aminosäurenkette und die Faltung
durch zelluläre Mechanismen streng kontrolliert werden, erfolgt die
verhängnisvolle Veränderung dieser Prionenproteine unkontrolliert.
Allein durch die Änderung der räumlichen Struktur verändern sich die
Prionenproteine (PrPc) zu krankmachende Prionen (PrPSc ; scrapie oder
schädlich). Bei den PrPSc handelt es sich um ein proteinartiges
infektiöses Agens ohne Nukleinsäure, das extrem resistent gegenüber
Hitze, Proteasen, Chemikalien, Desinfektionsmitteln und niedrigem pH
ist. Dies sind wichtige Voraussetzungen für eine Ansteckung über die
Nahrung. Stanley Prusiner stellte als erster die Hypothese auf, dass
diese neue Substanzklasse für die Übertragung der Erkrankung vom Tier
auf den Menschen verantwortlich ist. Prusiner erhielt hierfür 1997 den
Nobelpreis für Medizin.

Wie entsteht eine Prionenerkrankung?

Im Vergleich zu anderen Krankheitserregern ist an der Übertragung einer
TSE offenbar keine Erbsubstanz (DNS/RNS) beteiligt. Die Vermehrung von
PrPSc erfordert die Gegenwart von körpereigenen PrPc. Bei einer
Infektion bewirkt das eindringende PrPSc im Gehirn eine Umwandlung des
normalen körpereigenen PrPc in PrPSc Neu entstandenes PrPSc kann
seinerseits die Umwandlung von normalem PrPc in PrPSc bewirken. Es kommt
zu einer verhängnisvollen Kettenreaktion. Hierbei scheint es sich um ein
neues, bisher unbekanntes biologisches Prinzip zu handeln. Der
Transport des infektiösen Prions aus der Nahrung über den Darm ins
Gehirn ist noch weitgehend ungeklärt.

Wie gefährlich sind veränderte Prionen für den Menschen?

Es gilt heute als erwiesen, dass BSE Artengrenzen überspringt. Das
Auftreten und der Anstieg der BSE-Fälle verläuft parallel mit dem
Auftreten der neuen Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit (vCJK) in
Großbritannien. Inzwischen traten erste vCJK-Fälle auch in Frankreich
und Irland auf. Eine Übertragung während der Schwangerschaft und über
das Blut kann nicht ausgeschlossen werden. Seit den 50er Jahren ist
bekannt, dass die Creutzfeld-Jakob-Krankheit z.B. durch unzureichend
sterilisiertes OP-Besteck übertragen werden kann. Es bestehen große
Ähnlichkeiten mit der aus Papua-Neuguinea bekannten Kuru-Erkrankung.

Welche Gewebe sind besonders gefährlich?

Bei veränderten Prionen handelt es sich um sehr infektiöse Erreger. In 1
g Gehirn- oder Nervengewebe eines an BSE erkrankten Tieres befinden sich
bis zu 1 Mrd. Erreger, in 1 g Lymphknoten bis zu 1 Mio und 1 g Leber bis
zu 10.000 Erreger. Fleisch und Milch enthalten - wenn überhaupt -
weniger als 10 Erreger pro Gramm. Ein Gramm erkranktes Rinderhirn ergibt
100 Mio. infektiöse Dosen, wenn diese direkt ins Gehirn von Mäusen
injiziert werden. Neben Gehirn, Rückenmark und Nerven gelten Milz,
Bries, Augen (Netzhaut), Teile des Darms, Lymphgewebe und Lunge als
besonders erregerhaltig.

Wie es zur BSE-Krise in Deutschland kam

Für Irritation sorgte im Sommer 2000 der wissenschaftliche
Lenkungsausschuss der EU, als dieser bei einer Bewertung des
länderbezogenen BSE-Risikos Deutschland in die Gruppe III einstufte,
zusammen mit Frankreich und der Schweiz. Dem Ausschuss war nicht
entgangen, dass Tiermehlhändler über 30.000 t ungenügend erhitztes
Tiermehl nach Deutschland importiert hatten. Die Händler wiederum hatten
gleichzeitig hygienisch unbedenkliches, deutsches Tiermehl nach
Osteuropa verkauft. Aus anderen Ländern, die ebenfalls westeuropäisches
Tiermehl bezogen hatten, war bereits ein BSE-Problem bekannt. Kurze Zeit
später wurden im Herbst in Deutschland ebenfalls BSE-Fälle festgestellt.
Die Zahl nachgewiesener BSE-Fälle hat sich in Deutschland inzwischen
(31.5.2001) auf 74 erhöht. In Großbritannien traten bisher auf über
25.000 Farmen über 180.000 BSE-Fälle auf. Auf Grund der zunächst
fehlenden Kontrollen und Versäumnissen der Politik gelangte in
Großbritannien eine große Anzahl BSE erkrankter Rinder in die
Nahrungskette. Experten schätzen, dass in der Vergangenheit in
Großbritannien pro Person zwischen 50 und 100 Portionen BSE-Fleisch
verzehrt worden sind.

Die neue Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit (vCJK)

Die neue Variante der Creutzfeld-Jacob-Krankheit wurde erstmals 1995 in
Großbritannien festgestellt. Inzwischen sind über 90 Patienten an vCJK
erkrankt bzw. gestorben. Die Tendenz ist steigend, wobei im Moment das
zukünftige Ausmaß der Erkrankungen und Todesfälle nicht sicher
abzuschätzen ist. Eine Übertragung auf den Menschen ist wahrscheinlich,
eine Therapie ist nicht möglich und vCJK verläuft immer tödlich. Da
Dosis-Wirkungs-Untersuchungen aus moralisch-ethischen Gründen am
Menschen nicht durchgeführt werden können, ist die Mindestmenge
infektiösen Materials, die eine Erkrankung auslöst, unbekannt. Aus
Gründen des gesundheitlichen Verbraucherschutzes sind weitreichende
Vorsorgemaßnahmen zu treffen, auch wenn z.Zt. noch nicht alle Details
über die Entstehung und Ausbreitung der Erkrankung bekannt sind.

Was wurde bisher getan?

1994 EU-Verbot der Fütterung von Tier- u. Knochenmehl an Wiederkäuer

1997 höhere Verarbeitungsstandards für Tiermehl (133° C und 3 bar Druck
für 20 Minuten)

1998 aktive Überwachung der EU der Kontrollmaßnahmen zu BSE in den
Mitgliedsländern

2000 Entfernen von Risikomaterial aus der gesamten Nahrungskette (> 95 %
der Infektiosität)

2001 Einführung der BSE-Tests für alle Tiere >30 Monate; generelles
Verbot der Verarbeitung von toten Tieren zu Tierfutter; Verbot von
Separatorenfleisch in der Nahrungskette; Rinderwirbelsäule wird als
Risikomaterial eingestuft; verbessertes Sterilisationsverfahren für
Fette von Wiederkäuern; Schnelltests für alle Tier über 2 Jahre; keine
tierischen Fette in Milchaustauschfutter und keine Wursthüllen aus
Rinderdarm.

Es gibt keine Hinweise für eine Übertragbarkeit von BSE durch Milch und
Milchprodukte oder Käse; weder in der Milch noch in Milchdrüsen wurden
BSE-Erreger gefunden. Speisegelatine stammt zu 90 % aus Schweinegewebe,
die restlichen 10 % aus Rinderhäuten, bei denen keine Infektiosität
nachgewiesen wurde. Außerdem werden bei der Herstellung der Gelatine
Verfahren angewendet, die mögliche Erreger inaktivieren.

Was ist noch zu tun?

Änderung der Tötungsmethode (keine Bolzenschußtötung).

Verzicht auf Durchtrennen der Wirbelsäule und des Schädels.

Verzicht auf Markknochen, Knochen, T-Bone-Steaks.
Weltweite BSE-Tests, auch in Südamerika und USA. ("BSE-frei ist nur, wo
nicht getestet wird")

Verbesserung der BSE-Schnelltests.

Entwicklung hochempfindlicher Tests für die Anwendung am lebenden Rind.

Einführung von BSE-Tests als Standardtest bei allen Rindern (wie z.B.
die Trichinenschau bei Schweinen).

Einhalten der Sorgfaltspflicht und guter handwerklicher Praxis auf allen
Ebenen der Produktion (Landwirtschaft, Schlachthof, Metzgerei, Handel).

Die Gründe für die Unsicherheiten und Ängste der Verbraucher:

Die genaue Natur des Erregers ist noch Gegenstand der wissenschaftlichen
Diskussion.

Der genaue Übertragungsweg und das Ansteckungsrisiko sind unbekannt.

Die Mindestmenge infektiösen Materials ist unbekannt.

Empfindliche Tests, um BSE im Frühstadium zu erkennen, fehlen.

Negative Befunde bei jungen Tieren garantieren keine BSE-Freiheit.

CJK ist eine immer tödlich verlaufende Erkrankung.

Der Erreger ist viel heimtückischer als angenommen und durch
herkömmliche Erhitzungs- und Desinfektionsmaßnahmen nicht zu vernichten.
Bisher für einzelne Aspekte postulierte Worst-case-Szenarien sind immer
auch eingetreten.

Empfehlungen für Verbraucher/innen

Muskelfleisch und Milch werden als weitgehend sicher bewertet. Eine
Infektion von Versuchstieren konnte durch Verfütterung von Milch oder
Fleisch BSE-erkrankter Tiere in keinem Fall erreicht werden. Ein
Restrisiko beim Verzehr von Rindfleisch bleibt vorhanden, dessen Grösse
unbekannt ist. Nach heutigem Wissen ist das Fleisch von Schweinen,
Geflügel und Fischen als sicher einzustufen. Bei Schafen besteht ein
Restrisiko, das wissenschaftlich im Moment nicht abgeschätzt werden
kann. Es scheint bei Schafen neben Scrapie auch Fälle von BSE zu geben.

Verbraucher mit sehr hohem Sicherheitsbedürfnis:

Überhaupt kein Rindfleisch essen; keine Kochwürste, kein
Schaf-/Lammfleisch aus GB.

Verbraucher mit hohem Sicherheitsbedürfnis:

Nur reines Muskelfleisch verzehren, keine verarbeiteten Lebensmittel,
die möglicherweise Innereien vom Rind enthalten; nur Fleisch aus
Ammenkuhherden (ohne Milchaustauschfutter).

Verbraucher mit normalem Sicherheitsbedürfnis:

Nur Rindfleisch mit bekannter Herkunft und nur Fleisch von jungen Tieren
oder BSE-getesteten, älteren Tieren essen.


Prof. Dr. Helmut Heseker, Universität Paderborn, Tel.:
05251-60-3835/2195, Fax: -60- 3425, heseker@physik.uni-paderborn.de
 



 

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