Aktuelle Meldungen  -  Nachrichten suchen  -  kostenloses Abo  -   Nachricht weiterempfehlen

 

AHO Aktuell - 13.04.2001

Was ist "artgerechte Haltung beim Schwein"?


Anläßlich des Seminars "Tierschutz beim Schwein" am 07.03.2001 in Langen
referierte Prof. Karl Heinritzi (München) zum Thema "Artgerechte Haltung
beim Schwein". Er führte unter anderem aus:


Seit der Mensch Tiere domestiziert, ist das Tier auf die ständige Ver-
sorgung durch den Menschen angewiesen und damit auch dem Angebot, das es
vom Menschen zu erwarten hat, ausgesetzt. Mit der Intensivierung der
Landwirtschaft hat der Einfluß auf die Tiere durch Haltung, Fütterung,
Management wesentlich zugenommen.

Von der modernen Landwirtschaft wird gefordert, daß dem Umweltschutz
Rechnung getragen wird, daß hochwertige und unbedenkliche Lebensmittel
produziert werden und dies zum möglichst niedrigen Preis.

Den Preis hat dann vielfach das Tier zu bezahlen, das nicht mehr artgerecht
gehalten werden kann. Das Wort Massentierhaltung weckt unschöne Emotionen
und trifft trotzdem für nahezu alle Schweinebestände zu, da Schweine nie
als Einzeltiere, sondern immer zu mehreren in einem Stall zusammen gehalten
werden. In Deutschland werden im Durchschnitt 145 Schweine pro Betrieb
gehalten (Schweinezucht und -produktion in Bayern 1999).

Ein Großteil der Krankheiten, Schäden und Leiden unserer Schweine
resultieren aus Fehlern in der Betriebsführung, der Haltungsform, der
Klimaführung oder der Fütterung. Neben diesen sogenannten Technopathien,
ist im Hinblick auf den Tierschutz auch an die sogenannten zootechnischen
Eingriffe zu denken.

Das Wort artgerecht ist schwierig zu definieren. Eine englische
Arbeitsgruppe hat hierzu 5 Forderungen formuliert.

1. Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung
2. Freiheit von ungeeigneter Unterbringung
3. Freiheit von Schmerz, Krankheit und Verletzung
4. Freiheit von unnötiger Belastung und
5. Freiheit zur Ausübung normalen Verhaltens

Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung

Es ist bei einer artgerechten Haltung auf die Fütterungstechnik, die
Futterzusammensetzung, die Futterqualität und auf eine ausreichende
Wasserversorgung zu achten. Jede Fütterungstechnik kann sich positiv wie
negativ auf die Tiere auswirken und muß individuell auf den jeweiligen
Bestand und Betriebsablauf eingestellt werden. Hier sind vor allem bei
Freilaufhaltung die Verhaltensmuster der Sauen zu berücksichtigen.
Das Futter muß der Altersstufe und Nutzungsgruppe entsprechend
zusammengesetzt sein und dementsprechende Inhaltstoffe aufweisen.

Freiheit von ungeeigneter Unterbringung

Hier ist die gesamte Stallanlage ins Auge zu fassen. Als einer der
wichtigen Punkte ist hier die Klimaregulierung bezüglich Stalltemperatur,
Frischluftzufuhr und Schadgasgehalt zu sehen.

Freiheit von Schmerz, Krankheit und Verletzung

Freiheit von Krankheiten und damit Schmerzen umfasst die gesamte
Schweinemedizin. Um das Infektionsrisiko für den Bestand zu minimieren,
sollte man sich darüber im Klaren sein, daß es zur artgerechten Tier-
haltung gehört, möglichst keine Erreger in den Bestand einzuschleppen.
Dies bedeutet einen kontrollierten Zukauf aus wenigen möglichst in der
Region gelegenen Beständen.

Um potentiellen Krankheiten gezielt vorbeugen zu können sind Impfungen
ein unverzichtbarer Bestandteil der Gesundheitsvorsorge und damit der
tierschutzgerechten Haltung. Der Impfakt verlangt aber in jedem Fall
ein wohldurchdachtes medizinisches Handeln (A. Mayr). Dies sowohl im
Hinblick auf die Gesundheit der Muttertiere aber auch die der Ferkel.
Ferkel erhalten ihre schützenden Antikörper über die Milch der Sauen.
Um Ferkelkrankheiten vorzubeugen müssen also die Muttersauen während
der Trächtigkeit geimpft werden. Es muß also bei diesen Krankheiten
die Vakzination nach Produktionsphase ausgerichtet sein.

Anders ist dies bei Infektionskrankheiten wie z. B. dem Rotlauf, die
das Muttertier betreffen. Hier sollte die ganze Herde unter einem
einheitlichen Immunstatus stehen

In einer artgerechten Haltungen müssen regelmäßig Räudebehandlungen
stattfinden, ebenso wie eine gewissenhafte Endoparasitenbekämpfung.

Für eine artgerechten Haltung spielt der Stallboden eine wesentliche
Rolle. Die Anforderungen, die an einen Stallboden gestellt werden sind
hoch. So soll er ausreichende Trittsicherheit bieten, soll Abrieb-neutral
sein und einen gewissen Liegekomfort bieten. Der Boden muß auf die
jeweilige Altersgruppe ausgerichtet sein. Für die Saugferkel darf die
Bodenbeschaffenheit vor allem nicht zu rauh sein und für die Muttertiere
muß der Stallboden griffig sein. Sie müssen in den Abferkelbuchten leicht
aufstehen und ablegen können.

In diesem Zusammenhang ist auch im Sinne einer tierschutzgerechten Haltung
zu fordern, daß Schutzvorrichtungen für Ferkel vorhanden sind, damit sie
von der Sau nicht erdrückt werden. Ferkel haben das gleiche Recht geschützt
zu werden wie die Muttertiere.

Freiheit von unnötiger Belastung

Im Hinblick auf den Tierschutz sind Belastungen, wie z. B. das Kürzen der
Zähne, zu berücksichtigen. Daß das Kürzen der Zahnspitzen Tierschutz-
konform sein kann, zeigt eine umfangreiche Studie. Ferkel kämpfen mit
ihren spitzen Zähnen in den ersten Lebenstagen um die ergiebigste Zitze
und verletzen dabei ihre Wurfgeschwister und das Gesäuge der Mutter oft
erheblich. Das Verhalten der Ferkel ist damit zu erklären, daß die Sauen
keine Milchzisterne und damit keine Speichermöglichkeit haben und so die
Milch nur in der kurzen Phase der Milchejektion für die Ferkel zur
Verfügung steht. Dies bedeutet, daß jedes Ferkel zu dem Zeitpunkt am
Gesäuge präsent und im Besitz einer funktionierenden Zitze mit hoher
Produktivität sein muß, wenn die Sau Milch gibt. Nach Einstellung der
Saugordnung, etwa 2-4 Tage nach der Geburt, fallen die Ferkel in eine
energiesparende Freß-Schlafroutine und sie verlieren keine Zeit am
Gesäuge auf der Suche nach einer funktionstüchtigen Zitze. Der Kon-
kurrenzkampf dient somit als frühzeitige Selektion der Ferkel, bevor
das Muttertier viel Milch an weniger überlebensfähige Ferkel abgegeben
hat. Diese Reproduktionsstrategie weist darauf hin, daß zu allererst
darauf zu achten ist, daß möglichst nur Sauen mit gut laktierenden
Gesäugen in die Produktion kommen. Das Ergebnis der Studie zeigte, daß
die Häufigkeit und der Schweregrad der aufgetretenen Bißverletzungen bei
den Ferkeln mit belassenen Zähnen signifikant höher lagen, als bei den
Tieren, denen die Zähne reseziert worden waren. Die Aufzuchtverluste
waren bei den Ferkeln mit abgeschliffenen Zähnen am geringsten und die
Gewichtszunahmen bei denen mit belassenen Zähnen am niedrigsten. Das
sind Argumente, die für das Zähneabschleifen sprechen. Das Kürzen der
Zähne hilft nur die Folgen der schweren Kämpfe zu mindern und es muß
von Fall zu Fall entschieden werden, ob man sie nun beläßt oder
abschleift.


Freiheit zur Ausübung normalen Verhaltens

Beim Schwein spielt der Geruchssinn eine entscheidende Rolle. Darüber
hinaus ist Sozialverhalten ungemein wichtig. "Normales" Verhalten werden
auch gut eingerichtete Stallungen immer nur bedingt bieten können. Aber
jedes Stallsystem ist nur so gut, wie es vom Besitzer betreut wird. Eine
zukunftsorientierte Haltung muß sich aber auch an einer soliden öko-
nomischen Basis orientieren. Dies bedeutet, daß neue Haltungsformen sich
auch moderner Technologien bedienen dürfen und müssen.

Der Verbraucher hat ein Anrecht auf unbedenkliche Lebensmittel, die von
gesunden Tieren stammen. Dies beinhaltet auch, daß die Tiere gesund und
artgerecht aufgezogen wurden. Tierbestände ohne Erkrankungsrisiko gibt
es nicht und wird es auch nicht geben. Dies bedeutet, daß eine tierärzt-
liche Versorgung auch im Hinblick auf Frühdiagnose und tierschutzgerechte
Haltung unabdingbar ist.

Es ist viel getan, wenn man sich den Satz von W. Schulze, dem Begründer
der Schweinemedizin in Deutschland vor Augen hält: "Der Mensch darf das
Schwein zu seinen Bedürfnissen brauchen und sogar verbrauchen, aber
nicht mißbrauchen".


Prof. Karl Heinritzi
Seminar "Tierschutz beim Schwein"
Paul-Ehrlich-Institut und der Biologische Verein Langen
Mittwoch, 07.03.2001
15.00 Uhr - 18.00 Uhr
Hörsaal des Paul-Ehrlich-Instituts
Paul-Ehrlich-Straße 51-59
63225 Langen
 



 

  zum Seitenbeginn


© Copyright

AHO Aktuell ist ein Service von ANIMAL-HEALTH-ONLINE und @grar.de