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AHO Aktuell - 30.03.2001

Stellungnahme der TiHo zu den BSE - Massenschlachtungen


von Prof. Dr. Jörg Hartung, Institut für Tierhygiene und Tierschutz,
und Prof. Dr. Joachim Pohlenz, Institut für Pathologie, Tierärztliche
Hochschule Hannover

Die Ausbreitung der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) im
kontinentalen Europa während der vergangenen Monate hat die Verbraucher
verunsichert und den Absatz von Rindfleisch in vielen Regionen mehr als
halbiert. Seitens der Europäischen Kommission wurde daraufhin eine Verord-
nung erlassen, die zur Marktentlastung Massenschlachtungen von Rindern
vorsieht. Allein in Deutschland ist die Tötung von 400.000 über 30 Monate
alten Rindern zu diesem Zwecke bis zum 30. Juni 2001 vorgesehen. Diese
Massentötungen stoßen in der Öffentlichkeit zunehmend auf Kritik. Gleich-
zeitig findet aus seuchenhygienischen Gründen zur Bekämpfung der BSE die
Tötung ganzer Tierbestände statt, in denen die Erkrankung festgestellt
wurde, obwohl meist nur einzelne Tiere von der Erkrankung betroffen sind.
Auch hier wird der Ruf nach Alternativen zu der ganze Bestände aus-
rottenden gegenwärtigen Politik laut, mit denen flexibler und tier-
schonender vorgegangen werden kann.

Unbestritten steht bei allen Maßnahmen der Schutz des Menschen im
Vordergrund. Der Schutz von Leben und Gesundheit des Menschen stellt
nach heutiger Rechtsauffassung einen vernünftigen Grund dar, um Tiere
zu töten und gegebenenfalls auch vernichten zu dürfen. Ein vernünftiger
Grund liegt in ähnlicher Weise auch bei der Bekämpfung von ansteckenden
Tierseuchen vor, deren Ausbreitung oft nur durch die sofortige Tötung
und Beseitigung aller auffälligen und verdächtigen Tiere verhindert werden
kann. Die Maßnahmen dienen derTierseuchenbekämpfung und dem Schutz der
gesunden Tiere vor Erkrankung, Schmerzen, Schäden und Leiden. Ein solches
Vorgehen ist gesellschaftlich aner-kannt und schließt die erforderliche
Güter- und Pflichtenabwägung ein. Unbestritten ist auch die Tiertötung
zu Nutzungszwecken wie z.B. der Lebensmittelgewinnung, wenn die Kriterien
der Erforderlichkeit und der Angemessenheit erfüllt sind, nicht jedoch
allein zur Ersparung von Kosten. Ein Töten allein aus wirtschaftlichen
Gründen zur "Marktbereinigung" kann daher aus tierärztlicher Sicht kein
"vernünftiger Grund" sein. Kann man die Erforderlichkeit zum Schutz des
Menschen noch begründen, so erscheint die flächendeckende, undifferenzier-
te Tötung überwiegend gesunder Tiere unangemessen. Das generelle Argument
der Marktbereinigung reicht allein schon deshalb nicht aus, da dann jeder
wirtschaftliche Grund die Tötung von Tieren rechtfertigen kann. Auch das
Argument, die Tiere wären zu einem späteren Zeitpunkt ohnehin zu Nutzungs-
zwecken geschlachtet worden, ist nur dann zu akzeptieren, wenn auch jetzt
eine vernünftige Verwertung erfolgt.

Die Tötung von Rindern im Rahmen von Marktentlastungsmaßnahmen kann daher
allenfalls über eine Einzelfallprüfung erlaubt werden, wobei der Antrag-
steller gegenüber der zuständigen Behörde nachweisen muss, dass weder eine
Abgabe des Tieres zur Schlachtung oder an andere Betriebe, noch ander-
weitige Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden können. Die Abgabe
zur Schlachtung oder an andere Betriebe dürfte in der gegenwärtigen
Situation bei zunehmend überfüllten Ställen mit sich verschlechternden
Haltungsbedingungen kaum möglich sein, so dass sich hier derzeit eine
Einzelfallprüfung erübrigt. Geprüft werden kann die Schaffung anderweitiger
Unterbringungsmöglichkeiten, wobei allerdings auch die Kosten zu berück
sichtigen sind. Liegt die Tötung von über 30 Monate alten Rindern in einer
Größenordnung, die der Remontierungsrate des Betriebes entspricht, so kann
auch dies zu einer Bejahung der Tötung führen, da die Tiere auch unter
üblichen Bedingungen geschlachtet worden wären.


Unabhängig von diesen rechtlichen Überlegungen zu den Marktentlastungs-
maßnahmen gebietet das Schutzinteresse des Tieres, dringend über alter-
native Strategien zur Bekämpfung der BSE nachzudenken, besonders auch
mit dem Ziel, die Anzahl der zu tötenden Tiere nach Auftreten eines
BSE-Falles in einem Bestand zu verringern. Einen aussichtsreichen Ansatz
bietet die Form der sogenannten Kohortenschlachtung, die sich bei der
geringen Anzahl der BSE Fälle für Deutschland anbietet.

Nach bisherigen Erfahrungen sind in Deutschland während der vergangenen
Monate bei der systematischen Testung von etwa 400.000 Tieren lediglich
49 positive Fälle (Stand: 27.03.2001), entsprechend 0,02 %, bekannt
geworden. Von diesen 49 Kühen sind 19 Tiere älter als fünf Jahre, zwei
Tiere jünger als drei Jahre, eines 28 Monate alt, und die übrigen Tiere
befinden sich im Alter zwischen vier und fünf Jahren. Damit ist, wenn
auch nur in bescheidenem Maße, eine für die derzeitige Situation in
Deutschland mögliche Risikogruppe offensichtlich.

Diese Erkenntnis sollte genutzt werden, um die in Deutschland zur
Marktentlastung vorgesehenen Tiere in den Rahmen einer Tierseuchen-
bekämpfungsaktion zu stellen und gezielt selektiv vier bis sechs Jahre
alte Tiere zur Tötung in Verbindung mit einer Untersuchung im Schnell-
testverfahren vorzusehen. Nach Abschluss dieser Maßnahme wären die
meisten Tiere der Gruppe mit dem höchsten Risiko aus unseren Herden
entfernt und man könnte zu einer Kohortentötung übergehen. Dabei könnte
für die deutschen Verhältnisse die Definition der Kohorte so erfolgen,
dass alle direkten Verwandten des betroffenen Tieres sowie alle Tiere,
die ein Jahr jünger sind als das betroffene Tier, aus der Herde entfernt
werden. Die anderen Tiere könnten im Bestand verbleiben und bei weiterer
Kontrolle durch systematische Testung untersucht werden. Diese Regelung
müsste beinhalten, dass die derzeit praktizierte Maßnahme zur Erkennung
und Bekämpfung der BSE unbeschränkt weiter durchgeführt wird.

Unter den oben aufgeführten Vorgaben, die Tötungsmaßnahme in eine
Tierseuchenbekämpfungsmaßnahme einzubauen und dadurch eine Bereinigung
unserer Herden von der spongiformen Enzephalopathie vorzunehmen, wäre
einer von der EU vorgesehenen Tötungsaktion zur Entlastung zuzustimmen.
Eine alleinige Tötung zur Marktentlastung bei Vernichtung der anfallenden
Tiere ist unseres Er-achtens nach nicht zu verantworten.

Hannover, den 28.03.2001


Rückfragen bitte an die Autoren, Prof. Dr. Jörg Hartung, Institut für
Tierhygiene und Tierschutz, und Prof. Dr. Joachim Pohlenz, Institut für
Pathologie, oder an die Pressestelle der Tierärztlichen Hochschule
Hannover:

Dr. Maria Flachsbarth
Bünteweg 2
30559 Hannover
Tel.: (0511) 953-8004
Fax.: (0511) 953-82-8004
e-mail: mflachs@vw.tiho-hannover.de
 



 

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