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AHO Aktuell - 16.01.2001

Professoren mahnen zur Vernunft in der Agrarpolitik


Nachfolgende Erklärung von 42 Professoren der Agrarökonomie
an deutschen Universitäten wird durch die Pressestelle der Universität
Göttingen (Nr.18/2001) für Prof. Dr. Stefan Tangermann, Institut für
Agrarökonomie der Universität Göttingen verbreitet:

Professoren mahnen zur Vernunft in der Agrarpolitik

42 Professoren der Agrarökonomie haben sich in einer Erklärung zur
agrarpolitischen Wende geäußert, die jetzt von der Bundesregierung
geplant ist. Sie haben die Sorge, daß diese Pläne die Zukunft der
deutschen Landwirtschaft gefährden, ohne das Problem zu beheben, das in
der BSE-Krise entstanden ist. Die Professoren unterstützen die Forderung
nach mehr Verbraucherschutz, glauben aber, daß eine massive Förderung
der Öko-Landwirtschaft dazu keinen Beitrag leistet. Die Ursachen der
BSE-Krise liegen nicht in der konventionellen Landwirtschaft, sondern in
Versäumnissen des Staates. Die Professoren würden eine Ausweitung des
ökologischen Landbaus begrüßen, wenn die Verbraucher das wollen. Sie
warnen aber vor einer Bevormundung der Verbraucher durch den Staat. Die
unbestrittenen Leistungen der Öko-Betriebe für die Umwelt könnten auch
von konventionellen Landwirten erbracht werden, oft kostengünstiger. Die
Kritik an den "Agrarfabriken" und an "industrieller Landwirtschaft" ist
zwar populär, aber in der deutschen Landwirtschaft nicht sachgerecht.
Eine einseitige Förderung des Öko-Landbaus gefährdet die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft und läßt sie dauerhaft
von staatlichen Subventionen abhängig werden.
Die Erklärung hat den folgenden Wortlaut:

Brauchen wir eine Neuorientierung in der Agrarpolitik?

Erklärung von Agrarökonomen

In Reaktion auf die BSE-Krise fordern führende Politiker in Deutschland
eine Neuorientierung der Agrarpolitik, vor allem eine Abkehr von den
"Agrarfabriken" und der "industriellen Landwirtschaft" und eine
Hinwendung zum ökologischen Landbau als Leitbild für die Zukunft der
Landwirtschaft. Als Agrarökonomen haben wir die Sorge, daß eine solche -
bei vielen Bürgern gewiß populäre - Wende in der Agrarpolitik die
Zukunft der deutschen Landwirtschaft gefährdet, ohne das Problem zu
beheben, das Anlaß für diese Veränderung der Politik war.
Wir haben keinen Grund, die bisherige Agrarpolitik zu verteidigen, denn wir
haben sie oft kritisiert. Sie hat in Verfolgung sektoraler Interessen
oft Gebote der wirtschaftlichen Vernunft außer Acht gelassen. Wir
unterstützen das Bestreben, in Zukunft mehr Wert auf den
Verbraucherschutz, die Sicherheit unserer Nahrungsmittel und auf
artgerechte Tierhaltung zu legen und erkennen in dieser Hinsicht die
Notwendigkeit von Veränderungen. Wir sind aber nicht davon überzeugt,
daß die jetzt angestrebte Agrarpolitik einen Beitrag zu diesem Ziel
leisten kann, sondern halten sie für verfehlt.

Wir weisen in diesem Zusammenhang auf folgende Aspekte hin.

1. Die Ausbreitung der BSE-Krankheit ist offensichtlich durch
Futtermittel erfolgt. Die Verantwortung dafür tragen im wesentlichen
nicht die konventionell wirtschaftenden Landwirte oder eine
"industrielle Landwirtschaft", sondern einerseits der Staat, der
gefahrbringende Futtermittel zunächst nicht rechtzeitig verboten und
später Verstöße gegen die Verbote nicht hinreichend kontrolliert und
nicht mit ausreichenden Strafen belegt hat. Verantwortung tragen auch
diejenigen Hersteller von Futtermitteln, die Vorschriften nicht beachtet
haben. Eine Abwendung von der konventionellen Landwirtschaft zugunsten
eines neuen Leitbildes ist deshalb als Reaktion auf die BSE-Krise nicht
sachgerecht.

2. Ökologisch wirtschaftende landwirtschaftliche Betriebe wurden auch
bisher schon mit agrarpolitischen Maßnahmen gefördert. Die zur Verfügung
stehenden Haushaltsmittel haben die Landwirte teilweise noch nicht
einmal ausgeschöpft. Daß der Öko-Landbau bisher nur einen sehr kleinen
Anteil der Landwirtschaft ausmacht, liegt in erster Linie an den
Entscheidungen der Verbraucher, die Bio-Produkte nicht in stärkerem Maße
gekauft haben. Die Politik würde sich also über die Wünsche der
Verbraucher hinwegsetzen, wenn sie die ökologische Landwirtschaft
deutlich ausweitet, ohne daß für ihre Produkte eine ausreichende
Nachfrage vorhanden ist. Wir würden eine Ausweitung des ökologischen
Landbaus begrüßen, wenn sie durch die Marktnachfrage und
Zahlungsbereitschaft der Verbraucher ausgelöst wäre. Eine Bevormundung
der Verbraucher halten wir aber für falsch.

3. Eine Politik gegen den Verbraucherwillen wäre möglicherweise
gerechtfertigt, wenn auf diese Weise in Zukunft Probleme ausgeschlossen
werden könnten, wie sie jetzt zur BSE-Krise geführt haben. Das ist nicht
der Fall. Es gibt keine Garantie dafür, daß BSE nicht auch in ökologisch
wirtschaftenden Betrieben auftreten kann, und in anderen Ländern ist das
bereits geschehen. Auch gibt es keinen Nachweis dafür, daß
Nahrungsmittel, die in Öko-Betrieben erzeugt werden, grundsätzlich für
die Gesundheit des Verbrauchers besser sind als Produkte aus
konventionell wirtschaftenden Höfen. Eine staatlich forcierte Ausweitung
des ökologischen Landbaus läßt sich mit Argumenten des
Verbraucherschutzes nicht begründen.

4. Der Öko-Landbau ist zweifellos eine umweltfreundliche Form der
Landbewirtschaftung. Auch die konventionelle Landwirtschaft kann jedoch
bei entsprechender Förderung gezielte Umweltleistungen erbringen, oft
kostengünstiger als der ökologische Landbau. Die Umweltpolitik sollte
vergleichbare Umweltleistungen gleich fördern, unabhängig davon ob sie
im ökologischen Landbau oder in der übrigen Landwirtschaft erbracht
werden.

5. Eine einseitige agrarpolitische Bevorzugung bestimmter Formen von
Landwirtschaft verzerrt den Wettbewerb und schwächt die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit der gesamten Landwirtschaft. Sie läuft deshalb dem
Ziel zuwider, die Landwirtschaft auf längere Sicht von staatlicher
Unterstützung unabhängig zu machen. Die Reformen der EU-Agrarpolitik
haben in den letzten Jahren durch den Abbau der Preisstützung einen
Prozeß eingeleitet, an dessen Ende eine international wettbewerbsfähige
Landwirtschaft stehen könnte, wie sie von vielen Seiten immer wieder
gefordert worden ist. Dieser Prozess sollte angesichts der
EU-Osterweiterung und der WTO-Verhandlungen durch eine schrittweise
Liberalisierung der Märkte fortgesetzt werden. Die jetzt in Deutschland
geforderte agrarpolitische Wende würde dieser Tendenz eindeutig
entgegenwirken. Sie würde die deutsche Landwirtschaft weit zurückwerfen
und auf Dauer von staatlichen Hilfen abhängig machen.
6. Die langfristige Abhängigkeit von staatlichen Finanzhilfen wäre
gerade auch im ökologischen Landbau zu erwarten. Eine durch Agrarpolitik
herbeigeführte Ausweitung des ökologischen Landbaus würde die Preise für
Bio-Produkte deutlich unter Druck setzen, so daß ökologisch
wirtschaftende Landwirte ihre Kosten am Markt nicht mehr decken können.
Der Staat müßte sie dann dauerhaft subventionieren, um ihr Überleben zu
sichern.

7. Die Kritik an "Agrarfabriken" und "industrieller Landwirtschaft" mag
gegenwärtig zwar populär sein, sie verkennt aber die Realitäten. Mit
wenigen Ausnahmen sind die landwirtschaftlichen Betriebe Deutschlands
sehr klein und werden von Familienarbeitskräften bewirtschaftet. In
ihrer wirtschaftlichen Größe und Produktionsweise sind sie bestenfalls
mit Handwerksbetrieben, aber nicht mit industriellen Unternehmen
vergleichbar. Es kommt hinzu, daß in keiner Weise nachgewiesen ist, daß
kleine landwirtschaftliche Betriebe die Umwelt weniger belasten oder
gesündere Nahrungsmittel produzieren als größere Höfe. Soweit sich die
Kritik auf moderne Formen der Tierhaltung richtet, ist sorgfältig
abzuwägen, ob Veränderungen erforderlich sind und zu Verbesserungen für
die artgerechte Tierhaltung führen können. Auch in dieser Hinsicht geht
es allerdings nicht primär um die Größe der Tierbestände, sondern um die
Haltungsbedingungen.

8. Einzelbetriebliche Obergrenzen für die agrarpolitische Förderung
bringen keine Vorteile für den Verbraucherschutz, die Umwelt und den
Tierschutz. Sie hemmen jedoch den strukturellen Wandel, führen zu
höheren Kosten durch Ausweichmaßnahmen der Betroffenen (z.B. formelle
Betriebsteilungen) und schwächen damit die Wettbewerbsfähigkeit der
Landwirtschaft. Sie lassen sich auch nicht als einkommenspolitische
Maßnahme rechtfertigen, da es keinen engen Zusammenhang zwischen dem
Einkommen und der Betriebsgröße gibt. Soweit in der Landwirtschaft hohe
Einkommen erzielt werden, unterliegen sie der gleichen Steuerprogression
wie die Einkommen anderer Steuerzahler.

9. Wir leben nicht auf einer agrarpolitischen Insel. Unsere
Landwirtschaft muß im EU-Wettbewerb und vermehrt auch im
Weltmarktwettbewerb bestehen. Deshalb ist ein Wandel zu größeren
Betriebseinheiten unumgänglich. Damit kann und muß eine weitere
Verbesserung der Umweltverträglichkeit der Landwirtschaft einhergehen.
Der Weg "klein und öko" führt dagegen in eine Sackgasse.

Die Erklärung wurde von folgenden Professoren unterstützt
(Stand: 16.1.01, 11 Uhr):

Heinz Ahrens, Halle; Reimar von Alvensleben, Kiel; Siegried Bauer,
Giessen; Tilman Becker, Hohenheim; Wilhelm Brandes, Göttingen; Stephan
von Cramon-Taubadel, Göttingen; Reiner Doluschitz, Hohenheim; Klaus
Frohberg, Halle; Michael Grings, Halle; Werner Grosskopf, Hohenheim;
Claus-Henning Hanf, Kiel; Monika Hartmann, Halle; Arno Henze, Hohenheim;
Roland Herrmann, Giessen; Klaus Hesse, Kiel; Hans-E. Jahnke, Berlin;
Karl-Heinz Kappelmann, Nürtingen; Dieter Kirschke, Berlin; Hans Kögl,
Rostock; Manfred Köhne, Göttingen; Ulrich Koester, Kiel; Rainer Kühl,
Giessen; Friedrich Kuhlmann, Giessen; Thomas Kutsch, Bonn; Cay
Langbehn, Kiel; Dirk Manegold, Braunschweig; Winfried Manig Göttingen;
Uwe Jens Nagel, Berlin; Volker Petersen, Halle; Diethard Rost, Halle;
Wilhelm Scheper, Kiel; Gerhard Schiefer, Bonn; Erich Schmidt, Hannover;
Michael Schmitz, Giessen; Walter Schug, Bonn; Stefan Tangermann,
Göttingen; Peter Tillack, Halle; Peter Wagner, Weihenstephan; Hannes
Weindlmaier, Weihenstephan; Christoph Weiss, Kiel; Harald von Witzke,
Berlin; Rudolf Wolffram, Bonn; Jürgen Zeddies, Hohenheim; Manfred
Zeller, Göttingen;

Weitere Informationen bei:

Berlin: Harald von Witzke, Tel. 030-2093-6233, hvwitzke@rz.hu-berlin.de
Bonn: Walter Schug, Tel.0228-733663, schug@agp.uni-bonn.de
Braunschweig: Dirk Manegold, Tel. 0531-596-582, dirk.manegold@fal.de
Giessen: Friedrich Kuhlmann, Tel. 0641-99-37240,
kuhlmann.lbl1@agrar.uni-giessen.de
Göttingen: Stefan Tangermann, Tel. 0551-394822, stanger@gwdg.de
Halle: Volker Petersen, Tel. 0345-5522362, petersen@landw.uni-halle.de
Hannover: Erich Schmidt, Tel. 0511-762-4185, schmidt@ifgb.uni-hannover.de
Hohenheim: Jürgen Zeddies, Tel: 0711-459-2566 oder 3339,
i410b@uni-hohenheim.de
Kiel: Ulrich Koester, Tel. 0431-880-4436,
ukoester@agric-econ.uni-kiel.de
Rostock: Hans Kögl, Tel. 0381-4982086,
hans.koegl@agrarfak.uni-rostock.de
Weihenstephan: Hannes Weindlmaier, Tel. 049-8161-713540,
weindlmaier@bwl.blm.tu-muenchen.de

Informationsdienst Wissenschaft (idw) - Pressemitteilung
Georg-August-Universität Göttingen, 16.01.2001
 



 

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