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AHO Aktuell - 08.12.2000

Der Rinderwahn und die Strafängste beim Fleischverzehr


Schallstadt-Mengen (ots) - Der "Rinderwahnsinn" BSE ist nicht auf
Rinder begrenzt: Die Infektion verweist zusammen mit anderen
Bedrohungen auf eine Störung in unserem kulturellen Organismus. "Die
Erregung in Presse und Öffentlichkeit bringt die Angst zum Ausdruck,
dass wir es mit zerstörerischen Konsequenzen unserer eigenen
Lebensweise zu tun bekommen, aber nicht in der Lage sind, das Übel in
den Griff zu kriegen", erklärt Dr. Christoph B. Melchers, Leiter des
psychologischen Forschungsinstituts ifm Wirkungen + Strategien in
Köln und Freiburg. Das ifm ist den Sorgen der Konsumenten mittels
Tiefeninterviews nachgegangen. Die Kernergebnisse:

Die Informationslage zu BSE bringt die Verbraucher in die
Unsicherheits-Zwickmühle. Die Befragten stehen vor dem Dilemma, die
Sache entweder zu leicht oder zu schwer zu nehmen. BSE führt ihnen
vor Augen, dass sie lebenswichtige Prozesse nicht mehr selber
beurteilen können. Als Ausweg erscheint daher der Ruf nach dem Staat.

Die BSE-Krise ist eine Krise des staatlichen Verbraucherschutzes.
Der Ruf nach staatlichem Schutz fördert jedoch die Unsicherheit,
anstatt sie zu mindern. Wieder einmal fühlt man sich von offizieller
Stelle hinters Licht geführt: Der Staat jedoch will die Bürger
"bezahlen" lassen.

BSE erweckt "alte" Schuldgefühle und Strafängste in Bezug auf den
Fleischgenuss, die nicht mehr von Ritualen aufgefangen werden. Die
Beunruhigung durch BSE fußt auf grundlegenden psychologischen
Problemen des Fleischverzehrs. Dr. Christoph B. Melchers: "Anders als
beim Verzehr eines Puddings oder Salats sind beim Fleischkonsum
kollektive Skrupel gegenüber den verzehrten Tieren wirksam."

Traditionell werden diese Skrupel bearbeitet, indem der Verzehr
von Fleisch zu einer kleinen ,Feier' ausgestaltet wird. Wird einem
Tier schon das Leben genommen, dann soll sein Wert immerhin durch
bestimmte Rituale gewürdigt werden. Prototypisch dafür ist der
Sonntagsbraten mit seinen Zubereitungs- und Verzehr-Zeremonien.

"Die lange schon um sich greifende Gewohnheit, Fleisch gedankenlos
und informell zu verzehren, hat die Schuldgefühle wachsen lassen und
bei immer mehr Menschen zu einem wachsenden Unbehagen am
Fleischkonsum geführt", betont Dr. Melchers.

Hört man nun auch noch, dass die zum Verzehr bestimmten Tiere
durch die Verfütterung von Tiermehl zu Kannibalen gemacht wurden,
dann erscheint das als drastischer, kaum mehr gut zu machender Frevel
an den Tieren. Als jemand, der Appetit auf Fleisch hat, fühlt man
sich mit schuldig. Dr. Melchers:

"BSE erscheint daraufhin als die gerechte Strafe für den
abwertenden und entwürdigenden Umgang mit Tieren."

Die BSE-Aufregung ist Symptom einer kulturellen Krise. Zusammen
mit Waldsterben, Kernenergie, Ozonloch oder Klimakatastrophe weist
BSE auf ein kulturelles Trudeln hin: An allen diesen Themen wird
versucht, ein Gefühl dingfest zu machen, dass in unserer Kultur etwas
grundlegend verkehrt läuft. Indem diese Themen kommen und gehen,
zeigt sich beunruhigenderweise jedoch, dass sich das Trudeln selbst
dem Zugriff entzieht.

Das Markt- und Medienforschungsinstitut ifm Wirkungen + Strategien
mit Sitzen in Freiburg und Köln arbeitet seit Jahren für zahlreiche
deutsche Food Hersteller. Es erforscht unter anderem die
Verbrauchermotivation und ihre kulturellen Hintergründe. Eine
ausführliche Darstellung der Studie ist im Internet erhältlich.
 



 

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