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AHO Aktuell - 15.10.2000

Lebensmittelsicherheit soll international standardisiert werden


Gesundheitsministerium weist BgVV Schlüsselrolle in der
Risikobewertung zu

"Was wäre Ihre Antwort auf die Frage, ob unsere Lebensmittel
tatsächlich sicher sind?"- Dr. Dieter Arnold, Direktor des
Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und
Veterinärmedizin, nahm die Antwort vorweg, als er
die Konferenz über "Internationale Perspektiven der Mikrobiologischen
Lebensmittelsicherheit" in Berlin eröffnete: Wissenschaftler,
Politiker oder Hersteller würden die Frage vermutlich eher mit
"Ja" beantworten, Verbraucher eher mit "Nein". - Der Begriff der
"Lebensmittelsicherheit" hängt maßgeblich vom Blickwinkel des
Betrachters ab und stellt eine Momentaufnahme dar, die sich
jederzeit ändern kann. Potentielle Risiken müssen deshalb rechtzeitig
erkannt, bewertet und geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um sie zu
minimieren. Gleichzeitig muß der Nutzen in einer Relation zu den Kosten
stehen, denn schon heute müssen erhebliche Anstrengungen unternommen
werden, um den internationalen gesetzlichen Vorschriften zur
Lebensmittelsicherheit zu genügen. Hierbei setzen Weltgesundheits- und
Welternährungsorganisation auf das Instrument der Risikoanalyse. Mit
den Standards des Codex Alimentarius wollen sie die Sicherheit der
Lebensmittel in einem globalisierten Handel auf internationaler Ebene
weiter verbessern.

Rund 150 Teilnehmer aus knapp 20 europäischen und außereuropäischen
Ländern, darunter Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Überwachung,
Lebensmittelwirtschaft und Verbraucherschutz, trafen sich am 10. und
11. Oktober im BgVV, um über die praktische Umsetzung dieses Konzepts
zu diskutieren. Hintergrund der Konferenz ist die Globalisierung des
Handels mit Lebensmitteln, die im Interesse des Verbraucherschutzes,
aber auch aufgrund internationaler Vorgaben durch die Welthandels-
organisation nach weltweiten hygienischen Standards und einem
einheitlichen, systematischen Umgang mit potentiellen Risiken verlangt.

Allein in Deutschland werden jährlich rund 200.000 Erkrankungsfälle
gemeldet, die durch Lebensmittel verursacht wurden. Im Rahmen des
"WHO Surveillance Programme for Control of Foodborne Infections and
Intoxications in Europe", eines im Jahr 1980 eingerichteten und vom
BgVV koordinierten Überwachungsprogramms, wurden von 1993 bis 1998
21.000 Ausbrüche gemeldet, bei denen der Erreger ermittelt werden
konnte. Die Zahl der Erkrankungen mit unbekanntem Erreger lag deutlich
höher. Von Grönland über den Mittelmeerraum bis zur Pazifikküste melden
heute 50 Länder ihre Daten im Rahmen des Überwachungsprogramms an das
Bundesinstitut. Vom kommenden Jahr an soll das Überwachungsprogramm
stärker als bisher quantitative Daten liefern. Neben den Angaben zur
erkrankten Person und dem ursächlich beteiligten Lebensmittel sollen
sie dann auch Aussagen zur Charakterisierung des Erregers und zur
Keimzahl im ursächlich beteiligten Lebensmittel enthalten.

Aus den Daten des Surveillance-Programms lassen sich folgende Trends
ableiten:

Immer noch nimmt die Salmonellose unter den lebensmittelbedingten
Erkrankungen eine zentrale Stellung ein. Salmonellen sind für 70%
aller gemeldeten Ausbrüche verantwortlich. Während sich die Zahlen
in den meisten europäischen Ländern auf einem hohen Niveau
eingependelt haben, steigen sie in einigen osteuropäischen Ländern
weiter an.

Neben den Salmonellen gewinnen die Erkrankungen durch Campylobacter-
Keime an Bedeutung. In einer Reihe von Ländern wie den Niederlanden,
den skandinavischen Ländern und der Schweiz haben sie die Salmonellen
als Ursache von Lebensmittelinfektionen zahlenmäßig bereits
überflügelt. Neben tatsächlich gestiegenen Inzidenzraten tragen eine
verbesserte Diagnostik und ein gestärktes Bewußtsein der Ärzte über
die Bedeutung des Erregers zu dieser Entwicklung bei.

Besonders in Teilen Zentral- und Osteuropas spielt daneben der
Botulismus eine bedeutende Rolle. Die Erkrankung wird vor allem durch
im Haushalt zubereitete Konserven und durch geräucherte
Fischerzeugnisse verursacht, da die Sporen des toxinbildenden Keims
sehr hitzebeständig sind. In Deutschland sind Botulismus-Fälle weit
seltener. Hier wurden 1998 nur 21 Fälle von Botulismus gemeldet, 1999
waren es 19 Fälle.

In Osteuropa haben auch die Trichinen nach wie vor eine hohe Bedeutung
im Krankheitsgeschehen. Allein zwischen 1993 und 1998 wurden aus diesen
Ländern rund 21.000 Fälle von Trichinose gemeldet.

Der Ort der Lebensmittelinfektion hängt eng mit den regionalen Lebens-
und Verzehrsgewohnheiten zusammen. So infizieren sich beispielsweise
in den Niederlanden die meisten Menschen in Einrichtungen der
Gemeinschaftsverpflegung (Kantinen oder Restaurants), in anderen
Ländern dagegen überwiegend im privaten Haushalt. Die skandinavischen
Länder nennen Reiseerkrankungen als zentrale Ursache für lebensmittel-
bedingte Erkrankungen.

Die Inhomogenität der Daten stellt bei der Auswertung ein Problem dar.
Eine wesentliche Verbesserung der Datenqualität wird in Deutschland
vom Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes im Januar 2001 erwartet.
Das Gesetz schreibt nicht nur die Meldepflicht für eine Reihe von
Infektionskrankheiten und den Nachweis bestimmter Erreger fest, sondern
sieht erstmals auch Einzelfallmeldungen nach standardisierten
Falldefinitionen vor. Außerdem ist anzugeben, ob die Erkrankungen im
Zusammenhang mit dem Verzehr von Lebensmitteln stehen können. Die
elektronische Übermittlung der Daten an das Robert Koch-Institut wird
den Zeitverzug in der Meldung und die Reaktionszeit deutlich verkürzen.
Gemeinsam mit den am BgVV eingehenden europäischen Daten bilden diese
Informationen eine wissenschaftlich fundierte Basis zur Bewertung von
Risiken im Rahmen des Infektionsgeschehens.

Die Daten sind ein wichtiger Bestandteil der Risikoanalyse. Auf ihrer
Basis bewertet das BgVV potentielle Risiken und berät das
Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Fragen des Risikomanagements.
Das Bundesministerium für Gesundheit sieht das BgVV hier in einer
Schlüsselposition: "Bei der Risikobewertung", so der Vertreter des BMG,
Dr. Hans Dieter Böhm, "nimmt das BgVV eine zentrale Rolle ein". Die
Analyse und Bewertung potentieller Risiken erlaubt gezielte Maßnahmen
des Risikomanagements, um mit akzeptablem Mittelaufwand den
größtmöglichen Nutzen für den Verbraucher zu erreichen. Dies kann von
Maßnahmen im Erzeuger- und Herstellungsprozess über solche der
Produktsicherheit bis hin zur Aufklärung des Verbrauchers und damit
des privaten Haushalts reichen. Hier sind auch die Verbraucherverbände
gefordert.

Die Ergebnisse der Konferenz sollen in die europäische Gesetzgebung
einfliessen. Als Konsequenz aus der Tagung wird Anfang des kommenden
Jahres am BgVV eine Hygienekommission eingerichtet, der Vertreter aus
Wissenschaft, Überwachung, Untersuchungsämtern, Ärzte- und
Verbraucherschaft sowie der Wirtschaft angehören. Ihre Aufgabe wird
es sein, in Fragen der mikrobiologischen Risikobewertung von
Lebensmitteln mitzuwirken und das BgVV zu beraten. Die Ergebnisse
der Kommissionsarbeit sollen im Rahmen der Risikokommunikation allen
interessierten Kreisen zur Verfügung stehen.


BgVV, 23/2000, 12. Oktober 2000
 



 

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