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AHO Aktuell - 21.03.2000

Wildkaninchen mit der Infrarotkamera ins Nest geschaut


(aho) Erstmalig gelang es Gießener Wissenschaftlern am Institut
für Tierzucht und Haustiergenetik, mittels Infrarot-Videotechnik die
Geburt und das Säugeverhalten bei Wildkaninchen zu filmen. Die
Aufnahmen beweisen, dass es bereits während des Geburtsvorganges und
unmittelbar nach der Geburt zu neuen Deckversuchen durch den
anwesenden Rammler kommt. Es zeigte sich, dass die Überlagerung von
Trächtigkeit und Säugezeit in der Rasse- und Wirtschaftskaninchen -
haltung dem arttypischen Verhalten der Kaninchen entspricht. Die
dementsprechend kurzen Fortpflanzungsintervalle bei den
Wildkaninchen sind biologisch sinnvoll im Sinne der Arterhaltung.


Bereits seit 1996 finden am Institut für Tierzucht und Haustiergenetik
(Fachbereich 09: Agrarwissenschaften, Ökotrophologie und
Umweltmanagement) der Justus-Liebig-Universität Gießen
Verhaltensuntersuchungen an Kaninchen statt. Vor zwei Jahren dehnten
Diplom-Biologe Dieter Selzer und Prof. Dr. Steffen Hoy ihre Arbeiten zur
Verhaltensforschung auch auf Wildkaninchen aus, um Vergleiche mit
Hauskaninchen anstellen zu können. Auf der Lehr- und Forschungsstation
Oberer Hardthof wurden dazu zwei 150 m2 große Freigehege - eines für
Wild- und eines für Hauskaninchen - eingerichtet. Die Zäune wurden 60 cm
tief eingegraben, um ein Entweichen der Wildkaninchen zu verhindern. In
den Gehegen wurden den Tieren durch Röhren und Kisten
Deckungsmöglichkeiten angeboten. Das Kernstück der Anlage bildeten in
jedem Gehege zwei Nestboxen, die die Kaninchen über 1,50 Meter lange
Röhren in einem Kunstbau erreichen konnten.

Über den Nestboxen und im Außenbereich installierten die Wissenschaftler
Infrarot-Kameras und -Strahler mit einer für Kaninchen nicht sichtbaren
Wellenlänge von 880 bzw. 950 Nanometer, so dass das Verhalten der Tiere
im Nest und außerhalb des Baues 24 Stunden lang - am Tage und auch
nachts bei Dunkelheit - aufgezeichnet werden konnte. Dies war eine
wesentliche Voraussetzung für die Verhaltensbeobachtungen, da Kaninchen
(vor allem Wildkaninchen) dämmerungs- und nachtaktive Tiere sind.

In jedem Gehege wurden je zwei Häsinnen und ein Rammler mit Nachzucht
gehalten. Insgesamt elf Wildkaninchen- und 15 Hauskaninchenwürfe konnten
beobachtet werden. Erstmalig war es mittels Infrarot-Videotechnik
möglich, die Geburt und das Säugeverhalten bei Wildkaninchen zu filmen.
Die Geburt dauerte bei den Wildkaninchen im Mittel 12 Minuten bei einer
Wurfgröße von sechs Jungen. Bei allen beobachteten Wildkaninchengeburten
war der Rammler anwesend. Er beschnupperte die Häsin intensiv, und es
kam bereits während des Geburtsvorganges zu Deckversuchen. Nach der
Geburt wurden die Kopulationen fortgesetzt.

Diese Deckakte müssen erfolgreich gewesen sein, denn nach
durchschnittlich 30 Tagen Trächtigkeit (Minimum 29 Tage) erfolgte die
nächste Geburt. Ein Bedecken der weiblichen Tiere unmittelbar nach der
Geburt ist demzufolge arttypisch und bei Wildkaninchen biologisch
zweckmäßig, um angesichts zahlreicher Luft- und Bodenfeinde die
Erhaltung der Art sicher zu stellen. Die Geburten fanden von Ende
Februar bis Ende August vorzugsweise in den Nachtstunden statt.

Bei den Hauskaninchen war ein sehr ähnliches Verhalten zu beobachten.
Auch hier war der Rammler bei den meisten Geburten anwesend und
unternahm bereits während und nach dem Werfen erfolgreich Deckversuche
(mittlere Trächtigkeitsdauer 31 Tage).

Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen demonstrieren, dass
die Überlagerung von Trächtigkeit und Säugezeit in der Rasse- und
Wirtschaftskaninchenhaltung dem arttypischen Verhalten der Kaninchen
entspricht. Die Wildkaninchen säugten ihre Jungen im Durch-schnitt 1,3
mal in 24 Stunden mit einer mittleren Dauer des Saugaktes von etwa 180
Sekunden. Das Säugen fand überwiegend in der Nacht statt, mit einem
Anstieg der Säugeaktivität nach der Abenddämmerung. Auch bei den
Hauskaninchen war der Licht-Dunkel-Wechsel am Abend ein starker
Zeitgeber für das Säugeverhalten - ein Drittel aller Saugakte erfolgte
in der abendlichen Dämmerungsphase. Die Trennung der Mutter von den
Jungen über Nacht - wie gelegentlich praktiziert - stellt demnach einen
Eingriff in das typische Verhaltensrepertoire dar und sollte
unterbleiben.

EU-Projekt zur Koordinierung der Forschungsaktivitäten bezüglich der
Kaninchenhaltung

Die Forschungsaktivitäten verschiedener europäischer Länder auf dem
Gebiet der Kaninchenhaltung sollen in Zukunft koordiniert werden. Dazu
wurde in der vergangenen Woche in Brüssel das "Rabbit COST Project" mit
dem Titel "Multi-facetted research in rabbits: A model to develop a
healthy and safe production in respect with animal welfare" mit einem
finanziellen Volumen von 500.000 Euro bewilligt. Bislang haben neun
Länder Interesse an der Zusammenarbeit bekundet. Dazu werden fünf
Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit Tiergesundheit, Ernährung,
Fleischqualität, Reproduktion und Genetik sowie Haltung und Verhalten
beschäftigen. Für die Arbeitsgruppe fünf (housing and welfare) ist Prof.
Dr. Steffen Hoy vom Institut für Tierzucht und Haustiergenetik der JLU
als Koordinator nominiert. Die bewilligten EU-Mittel werden für die
Koordinierung der verschiedenen nationalen Projekte und für den
Austausch von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern
eingesetzt.

Kontaktadresse:
Prof. Dr. Steffen Hoy, Dipl. Biol. Dieter Selzer
Institut für Tierzucht und Haustiergenetik
Bismarckstraße 16
35390 Gießen
Tel.: 0641 / 99 37 622
Fax: 0641 / 99 37 639
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